Inhaltsverzeichnis
- Was ist ein Verfahrenslotse nach SGB VIII?
- Warum gibt es Verfahrenslotsen?
- Was macht ein Verfahrenslotse? – Aufgaben
- Wer kann Verfahrenslotse werden? – Ausbildung
- Wer darf Verfahrenslotsen in Anspruch nehmen?
Was ist ein Verfahrenslotse nach SGB VIII?
Ein Verfahrenslotse ist eine spezielle Ansprechperson in Jugendämtern, die Heranwachsenden mit (drohender) Behinderung und ihren Familien dabei hilft, ihre Ansprüche auf Leistungen der Eingliederungshilfe und weitere Rechte geltend zu machen. Für die Leistungserbringung ist der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe verantwortlich.
Rechtliche Grundlage der Verfahrenslotsen ist § 10b des achten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Er fungiert als Schnittstelle zwischen SGB VIII und SGB IX, wurde zum 01.01.2024 eingeführt und soll zunächst bis zum 31.12.2027 befristet gelten. Allerdings sehen sowohl der Koalitionsvertrag der Ampelregierung als auch eine gesonderte Entschließung des Bundestags vor, dass die Verfahrenslotsen nach 2028 weitergeführt werden.
In jedem Fall verpflichten sich Verfahrenslotsen vorrangig den Interessen der Familien und Jugendlichen und unterliegen demnach einer gesetzlich vorgeschriebenen Unabhängigkeit. Somit müssen sie im Konfliktfall u. U. gegen die Interessen des Jugendamts oder des Eingliederungsträgers agieren.
Warum gibt es Verfahrenslotsen?
Hintergrund zur Einführung von Verfahrenslotsen ist das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG). Es regelt die Zusammenführung der Zuständigkeiten zur Gewährung von Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen mit und ohne Behinderungen in der Kinder- und Jugendhilfe. Dazu gehört u. a. die verpflichtende Ausbildung von Verfahrenslotsen in deutschen Jugendämtern bis 2024.
Genauer sollen betroffene Familien mit den Verfahrenslotsen ihren Unterstützungsbedarf wahrnehmen können. Denn bisher würden die in §§ 9 ff. SGB IX definierten Prinzipien zum frühzeitigen Hinwirken auf eine Antragstellung und die vorrangige Gewährung von Rehabilitationsleistungen beim Jugend- und Eingliederungshilfeträger nicht umfassend angewendet, so das Deutsche Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF). Zudem käme es aufgrund von Systemhürden nicht zu der in § 15 SGB IX angedachten Trägerkoordination durch den leistenden Träger.
Um diese Probleme zu beseitigen, kommen ab 2024 die Verfahrenslotsen zum Einsatz. Sie sollen Familien mit behinderten Kindern bei den derzeitigen Hürden unterstützen und gleichzeitig dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der sog. großen bzw. inklusiven Lösung Hilfestellung geben, indem die notwendigen personellen Ressourcen geschaffen werden.
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Was macht ein Verfahrenslotse? – Aufgaben
Gemäß § 10b SGB VIII ist die zentrale Aufgabe von Verfahrenslotsen, junge Menschen und ihre Familie bei der Antragstellung, Verfolgung und Wahrnehmung von Eingliederungshilfeleistungen nach SGB VIII und SGB XI zu begleiten. Zu den Hilfeleistungen gehören beispielsweise Hilfen zur Erziehung, soziale Gruppenarbeit oder eine Vollzeitpflege. Zudem helfen Verfahrenslotsen dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe bei der Zusammenführung der Leistungen der Eingliederungshilfe.
Um diesen Aufgaben vollumfänglich nachzugehen, erfüllen Verfahrenslotsen v. a. folgende Funktionen:
- Hilfe und Beratung bei der Orientierung im Leistungssystem.
- Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen oder dem Verfassen von Anträgen für Eingliederungshilfen.
- Herstellung eines Kontakts zu den zuständigen Stellen und Weiterleitung an geeignete Ansprechpersonen.
- Teilnahme an Planverfahren (z. B. Hilfeplanverfahren, Gesamtplanverfahren, Teilhabeplanverfahren und -konferenzen).
- Halbjährliche Berichterstattung gegenüber dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe über Erfahrungen der strukturellen Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen (z. B. Rehabilitationsträger). In diesem Bericht müssen u. a. folgende Punkte beschrieben sein:
- Quantitative Inanspruchnahme der Verfahrenslotsen
- Tätigkeiten der Verfahrenslotsen inkl. des jeweiligen Zeitaufwands für die künftige Personalbemessung
- Wiederkehrende Anliegen der Familien
- Art und Anzahl der in Anspruch genommenen Hilfen
- Anzahl der Einladungen zu Gesamtplanverfahren des SGB IX-Trägers und zu Teilhabeplanverfahren mit weiteren Trägern
- Erfolgreich hergestellte Kooperationsstrukturen mit anderen Stellen und Trägern
- Ggf. eigene Handlungsempfehlungen für die nächsten Schritte der Zusammenführung
Die Beratungsfunktion von Verfahrenslotsen richtet sich explizit an Familien mit behinderungsbedingten Bedarfen. Somit ersetzt sie nicht die Beratung aus § 10a SGB VIII, die allen Familien zugänglich ist, sondern dient als Ergänzung dazu. Allerdings gilt die Beratung der Verfahrenslotsen nicht als dezidierte Rechtsberatung. Ebenso tragen weiterhin die Familien die Verantwortung für das Vorgehen bei der Inanspruchnahme von Eingliederungshilfeleistungen.
Wer kann Verfahrenslotse werden? – Ausbildung
Personen, die sich als Verfahrenslotse betätigen wollen, benötigen entsprechende Qualifikationen und Vorkenntnisse. Insbesondere Personen mit abgeschlossener Ausbildung in folgenden Bereichen kommen infrage:
- Pädagogik
- Heilpädagogik
- Heilerziehungspflege
- Sozialarbeit
Auch Verwaltungsfachkräfte oder Verwaltungsjuristinnen und -juristen können sich als Verfahrenslotsen qualifizieren, sofern sie pädagogische Zusatzqualifikationen aufweisen (z. B. im Sozialmanagement oder in einschlägigen Rechtsgebieten).
Erforderliche Fachkenntnisse und Kompetenzen
Im Rahmen des Aufgabenprofils sollten Verfahrenslotsen folgende Fachkenntnisse aufweisen:
- Beratungs- und Kommunikationskompetenzen
- Systemische Kompetenzen sowie Kenntnisse über Kindeswohl und Elternbedarfe
- Fachwissen über verschiedene Arten von Behinderungen und mögliche Teilhabebedarfe
- Kenntnisse zum System der Rehabilitationsträger und den Systemen sozialer Absicherung (Aufgaben, Leistungen, Abläufe usw.)
- Rechtskenntnisse im Sozialrecht (v. a. SGB VIII und SGB IX)
Um diese Fachkenntnisse zu erlangen, reicht ggf. die vorherige pädagogische Grundausbildung nicht aus. Daher soll es zusätzlich geeignete Fortbildungen für Verfahrenslotsen geben. Außerdem bedarf es konkreter Ansprechpersonen, die den angehenden Verfahrenslotsen bei Fragen zur Verfügung stehen.
Überdies sollten Verfahrenslotsen spezielle persönliche Kompetenzen mitbringen, um den Aufgaben der Jugendarbeit gerecht zu werden. Dazu gehören besonders diese Eigenschaften:
- Empathie
- Teamfähigkeit und Konfliktfähigkeit
- Durchsetzungsvermögen
- Lösungsorientiertes Denken
- Kommunikationsfähigkeiten mit unterschiedlichen Zielgruppen und souveränes Auftreten in Gesprächen
- Selbstflexion und Fähigkeit zum Perspektivwechsel
Verfahrenslotse: Einzelperson oder Gruppe?
In § 10b SGBV III finden sich keine konkreten Vorgaben, ob die Aufgaben von Verfahrenslotsen durch eine einzelne Person umzusetzen sind oder von einer multiprofessionellen Gruppe ausgeführt werden dürfen.
Wird ein mehrköpfiges Team gebildet, ist zwingend eine feste Ansprechperson nach außen zu bestimmen. Das soll verhindern, dass die leistungsberechtigten Familien innerhalb eines Teams „herumgereicht“ werden und etwaige Belastungssituationen oder Bedarfe mehrfach wiederholt werden müssen.
Wer darf Verfahrenslotsen in Anspruch nehmen?
Einen Anspruch auf Unterstützung durch Verfahrenslotsen haben laut § 10b Abs. 1 S. 1 SGB VIII junge Menschen, die Leistungen der Eingliederungshilfe wegen einer (drohenden) Behinderung geltend machen oder für die derartige Leistungsansprüche in Betracht kommen, sowie ihre Mütter, Väter, Personensorge- und Erziehungsberechtigten.
Das Hinzuziehen von Verfahrenslotsen ist freiwillig und kann von den leistungsberechtigten Familien zu jedem Zeitpunkt eines Verfahrens genutzt werden. Es erfolgt entweder punktuell oder während des gesamten Verfahrens. Wichtig ist, dass die Angebote möglichst niedrigschwellig zugänglich sind. Hierfür soll es u. a. entsprechende Informationsveranstaltungen, Informationsmaterial und Sprechstunden in Familien-/Nachbarschafts- und Jugendzentren geben, die sich an den Bedürfnissen der Leistungsberechtigten orientieren.
Quellen: Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V. (DIJuF), Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)