Absturzsicherung im Betrieb und auf Baustellen – rechtliche Grundlagen und Gefährdungsbeurteilung
08.11.2019 | JS – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH
Abstürze sind die häufigste Ursache für schwere und tödliche Arbeitsunfälle. Nicht nur auf Baustellen sind Beschäftigte gefährdet, auch in Betrieben gibt es häufig Situationen, in denen eine Absturzsicherung benötigt wird. Der Gesetzgeber regelt Schutzmaßnahmen gegen Abstürze in unterschiedlichen Rechtsvorschriften, die Arbeitgeber zwingend beachten müssen.
Rechtsvorschriften zur Absturzsicherung
Die Sicherung vor Abstürzen wird in mehreren Rechtsvorschriften thematisiert, die gleichzeitig Schutzmaßnahmen zur Absturzsicherung formulieren. Neben der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) mit der dazugehörigen ASR A2.1 „Schutz vor Absturz und herabfallenden Gegenständen, Betreten von Gefahrenbereichen“ betrifft das die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) mit der konkretisierenden Technischen Regel TRBS 2121 „Gefährdung von Personen durch Absturz – Allgemeine Anforderungen“ mit ihren Teilen 1 bis 4 sowie das Baurecht.
Anforderungen der ArbStättV und ASR A2.1
Die Arbeitsstättenverordnung fordert im Anhang 2.1 überall dort eine Absturzsicherung, wo sich Arbeitsplätze und Verkehrswege befinden und gleichzeitig eine Absturzgefahr besteht. Im Anhang 5.2 definiert die ArbStättV Anforderungen an die Absturzsicherung von Baustellen. Diese Anforderungen waren ursprünglich in der ASR A2.1 geregelt, wurden aber direkt in die Arbeitsstättenverordnung übernommen, was ihre Verbindlichkeit unterstreicht.
Die ASR A2.1 greift räumlich gesehen weiter. Sie gilt nicht nur für Arbeitsplätze und Verkehrswege, sondern auch für das Betreten von Dächern oder Gefahrenbereichen.
BetrSichV und TRBS 2121
Die Regelungen der Betriebssicherheitsverordnung gelten für Arbeitsplätze und Verkehrswege, die Bestandteil eines Arbeitsmittels sind. Das ist z. B. dann der Fall, wenn der Beschäftigte erst eine Leiter hochsteigen muss, um eine Anlage bedienen zu können, aber auch dann, wenn es sich um hoch gelegene Bedienerplätze an Maschinen und Anlagen handelt.
Nach der BetrSichV muss nicht nur das Abstürzen von Beschäftigten, sondern auch das von Arbeitsmitteln verhindert werden. Konkretisierende Maßnahmen enthalten die Technischen Regel für Betriebssicherheit (TRBS), insbesondere die TRBS 2121.
Baurecht mit MBO
Gerade im Bereich Bau ergeben sich unweigerlich viele Gefährdungssituationen, die eine Absturzsicherung verlangen. Deshalb enthält auch das Baurecht Regelungen gegen Absturz. Hintergrund ist § 3 Abs. 1 Musterbauordnung (MBO), der fordert, dass Anlagen so anzuordnen, zu errichten, zu ändern und instand zu halten sind, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht beeinträchtigt wird. Verantwortliche müssen Umwehrungen und Brüstungen vorsehen, um Abstürze zu vermeiden.
Zudem fordern Muster-Baurichtlinien, wie z. B. die Muster-Schulbaurichtlinie Maßnahmen zur Absturzsicherung.
Absturzsicherung: Auswahl der Schutzmaßnahmen erfolgt nach dem TOP-Prinzip
Wie es im Arbeitsschutz üblich ist, erfolgt die Auswahl der Schutzmaßnahmen gegen Absturz nach dem sog. TOP-Prinzip. Das heißt: Erst haben technische Maßnahmen zu erfolgen, dann organisatorische und dann erst persönliche. Für die Absturzsicherung bedeutet das:
T = Absturzsicherungen wie Umwehrungen oder Abdeckungen
O = Auffangeinrichtungen wie Schutznetze, Schutzwände oder Schutzgerüste (nur wenn Absturzsicherungen aus betrieblichen Gründen nicht anwendbar sind)
P = Persönliche Schutzausrüstung gegen Absturz (PSAgA) (welche PSAgA geeignet ist, muss der Arbeitgeber anhand einer Gefährdungsbeurteilung ermitteln)
Trotz PSA gegen Absturz passieren häufig Absturzunfälle, weil Beschäftigte falsch mit ihrer Ausrüstung umgehen. Arbeitgeber sind deshalb in der Pflicht, gezielt zum Umgang mit einer PSAgA zu unterweisen. Die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) zeigt im folgenden Video, welche Fehler passieren können:
Quelle: BG ETEM, YouTube
Hinweis: Arbeitgeber haben auch die Möglichkeit, unter eng umrissenen Bedingungen gänzlich auf eine Absturzsicherung zu verzichten. Dann muss der Beschäftigte fachlich qualifiziert und körperlich für diese Tätigkeit geeignet sein. Außerdem muss der Arbeitgeber eine besondere Unterweisung durchführen. Die Absturzkante muss für den ausführenden Beschäftigten zudem deutlich erkennbar sein.
Gefährdungen durch Absturz: Das ist bei der Gefährdungsbeurteilung zu beachten
Bevor Arbeitgeber geeignete Schutzmaßnahmen gegen Absturz treffen können, ist zwingend eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Dabei ist das ggf. vorhandene Zusammenspiel mehrerer Gefährdungsfaktoren zu berücksichtigen. Diese können sein:
- Absturzhöhe (Gefährdung besteht laut ArbStättV ab mehr als einem Meter)
- Abstand von der Absturzkante
- Art der Tätigkeit
- Dauer der Tätigkeit mit einhergehender körperlicher Belastung
- Neigung des Standplatzes
- Beschaffenheit der Standfläche
- Art und Beschaffenheit der tiefer gelegenen Aufprallfläche
- Art und Beschaffenheit von Gegenständen auf der tiefer gelegenen Fläche
- Einflüsse aus der Arbeitsumgebung (Witterung, Beleuchtung, Vibrationen etc.)
- körperliche und psychische Voraussetzungen des/der Beschäftigten
Produktempfehlung:
Bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung können Arbeitgeber auf die „Prüf- und Dokumentationsmappe: Gefährdungsbeurteilung“ zurückgreifen, um rechtssicher zu agieren.
An diesen Stellen wird Absturzsicherung benötigt
Im Betrieb und auf Baustellen gibt es einige Absturzgefährdungen, die bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung besonderes Augenmerk verlangen. Hier eine Auswahl:
- Dächer und Dachkanten
- Treppen
- Fensterbrüstungen
- Wand- und Bodenöffnungen
- Wartung, Instandhaltung und Reinigung von Glasflächen und Fenstern
- Arbeiten auf Leitern
- Bedienen von Regalen und Tätigkeiten an hohen Schränken und Regalen
- Verwendung von Arbeitsmitteln
Absturzsicherung auf Baustellen nach Anhang 5.2 ArbStättV
Arbeitgeber in der Baubranche müssen neben dem Baurecht insbesondere den Anhang 5.2 der ArbStättV beachten, der deutlich ausführlicher Maßnahmen zur Absturzsicherung auf Baustellen definiert. Demnach müssen Schutzvorrichtungen gegen Absturz vorhanden sein ab
- 0,0 m Absturzhöhe an
- Arbeitsplätzen an und über dem Wasser
- Arbeitsplätzen an und über festen oder flüssigen Stoffen, in denen Beschäftigte versinken können
- Verkehrswegen über dem Wasser
- Verkehrswegen über festen oder flüssigen Stoffen
- mehr als 1,0 m Absturzhöhe an Wandöffnungen sowie an freiliegenden Treppenläufen und -absätzen
- mehr als 2,0 m Absturzhöhe an allen übrigen Arbeitsplätzen
Bei Arbeiten auf Dächern und Geschossdecken mit einer Grundfläche bis 50m2 und einer Neigung bis 22,5° erlaubt Anhang 5.2 der ArbStättV eine Absturzhöhe bis zu 3,0 m, ohne dass eine Absturzsicherung benötigt wird. Die ausführende Person muss jedoch fachlich qualifiziert, körperlich fit und besonders unterwiesen sein.
Hinweis: Anhang 5.2 der ArbStättV enthält eine Schnittstelle zur BetrSichV, denn auch Fahrzeuge, Erdbaumaschinen und Förderzeuge müssen so eingesetzt sein, dass sie nicht abstürzen, umstürzen, abrutschen oder einbrechen.
Quellen: „Die neue Arbeitsstättenverordnung“