Reform der Gefahrstoffverordnung: neue Regelungen für CMR Stoffe

21.01.2025 | S.Horsch – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH

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Die Novellierung der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV), die am 5. Dezember 2024 in Kraft getreten ist, bringt weitreichende Änderungen im Umgang mit CMR Stoffen (CMR = krebserzeugend, keimzellmutagen, reproduktionstoxisch). Dabei soll das risikobezogene Maßnahmenkonzept bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorie 1A (z.B. Asbest) und 1B (z.B. Acrylamid) aus dem technischen Regelwerk in die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) übertragen werden. Was Unternehmen dabei wissen und beachten sollten, erklärt dieser Fachbeitrag.

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Neue Anforderungen der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)
  2. Kennzeichnung von CMR Stoffen
  3. CMR Stoffe und besondere Schutzmaßnahmen
  4. CMR Stoffe und Arbeitsschutz: Das sollten Unternehmen jetzt tun
  5. Fazit
  6. Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Reform der Gefahrstoffverordnung und CMR Stoffe

Neue Anforderungen der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)

Die neue Gefahrstoffverordnung zielt auf eine Verbesserung der Prävention arbeitsbedingter Krebserkrankungen ab. Hierfür soll das risikobezogene Maßnahmenkonzept bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorie 1A und 1B aus dem technischen Regelwerk in die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) übertragen werden.

Im Kern geht es um eine Kopplung der Schutzmaßnahmen an das statistische Risiko, durch eine konkrete Tätigkeit an Krebs zu erkranken. Das in der Praxis inzwischen gut erprobte Risikokonzept wurde schon im Jahr 2008 zwischen den Sozialpartnern vereinbart und vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) verabschiedet.

Darüber hinaus gibt es auch einen unionsrechtlichen Hintergrund. Denn zugleich wird die Richtlinie 2022/431/EU zur Änderung der Richtlinie 2004/137/EG (sog. EG-Krebsrichtlinie) in nationales Recht transformiert. In diesem Kontext steht der Bezug auf die reproduktionstoxischen Stoffe der Kategorie 1A oder 1B. Tätigkeiten mit Asbest, eingestuft als krebserzeugend Kategorie 1A, stehen im Vordergrund.

Was sind CMR Stoffe?

CMR-Stoffe gehören zu den gefährlichsten Substanzen am Arbeitsplatz. Sie werden als:

  • Krebserzeugend (C)
  • Keimzellmutagen (M)
  • Reproduktionstoxisch (R)

eingestuft. Diese Stoffe können langfristige gesundheitliche Schäden verursachen und erfordern strenge Schutzmaßnahmen. CMR-Stoffe lassen sich gemäß ihrer Gefährdung in drei Kategorien unterteilen:

Besonders gefährliche Eigenschaften

Was sind CMR 1A und 1B Stoffe? CMR Stoffe der Kategorien 1A und 1B sind Substanzen mit besonders gefährlichen Eigenschaften:

Kategorie 1A:

  • Stoffe, die beim Menschen nachweislich krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend wirken
  • Basierend auf eindeutigen Beweisen aus Studien am Menschen
  •  Beispiele sind: Asbest, Benzol, Formaldehyd
Kategorie 1B:
  • Stoffe, die als wahrscheinlich krebserzeugend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend für den Menschen gelten
  • Basierend auf Beweisen aus Tierstudien, die auf den Menschen übertragbar sind
  • Beispiele sind: Acrylamid, Dichlormethan (Methylenchlorid), Epichlorhydrin

 Beide Kategorien werden mit dem Signalwort „Gefahr“ gekennzeichnet und tragen folgende H-Sätze:

  • H340: Kann genetische Defekte verursachen
  • H350: Kann Krebs erzeugen
  • H360: Kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen oder das Kind im Mutterleib schädigen

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CMR Stoffe und unsachgemäßer Umgang beim Bau im Bestand

Diese Thematik betrifft ganz praktisch den Bereich Bauen im Bestand. Zumal es laut der Unfallversicherungsträger trotz des nationalen Asbestverbots seit 1993 mehr als 30.000 Anerkennungen asbestbedingter Berufskrankheiten und über 16.000 Todesfälle gegeben habe. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass der Umgang mit asbesthaltigen Bauteilen beim Bauen im Bestand in einem nennenswerten Umfang unsachgemäß oder unwissentlich erfolgt. Insoweit ist unionsrechtlich auch die Richtlinie 2009/148/EG zu beachten (sog. EU-Schutzrichtlinie Asbest oder Asbestrichtlinie).

CMR Stoffe und risikobezogenes Maßnahmenkonzept

Ein Kernpunkt der Novellierung ist die rechtlich bindende Integration des risikobezogenen Maßnahmenkonzepts bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen. Dieses Konzept, das bisher in der Technischen Regel für Gefahrstoffe 910 (TRGS 910) verankert war, definiert drei Risikobereiche:

  • Geringes Risiko (grün)
  • Mittleres Risiko (gelb)
  • Hohes Risiko (rot)

Dieses Ampel-Prinzip soll Betriebe dabei unterstützen, angemessene Schutzmaßnahmen risikobezogen festzulegen. Das Konzept, das bereits 2008 zwischen den Sozialpartnern vereinbart und vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) verabschiedet wurde, hat sich in der Praxis bewährt.

Daneben enthält die Reform der GefStoffV strengere Vorschriften für den Umgang mit CMR-Stoffen, insbesondere der Kategorien 1A (erwiesen krebserzeugend für den Menschen) und 1B (vermutlich krebserzeugend für den Menschen):

  • Wegfall der Verschlussregelung: Die bisherige Regelung, dass CMR-Stoffe der Kategorien 1A oder 1B verschlossen aufbewahrt werden müssen, entfällt.
  • Maßnahmenplan bei Grenzwertüberschreitung: Wenn die Arbeitsplatzgrenzwerte (AGW) für CMR-Stoffe überschritten werden, muss ein Maßnahmenplan erstellt werden. Dieser Plan muss Maßnahmen zur Expositionsminderung und einen Zeitrahmen enthalten.
  • Mitteilungspflicht an die Behörde: Bei Überschreitung der Grenzwerte muss die zuständige Behörde innerhalb von zwei Monaten informiert werden.
  • Expositionsverzeichnis: Das Verzeichnis zur Exposition der Mitarbeiter muss mindestens fünf Jahre nach Ende der Exposition aufbewahrt werden. Neu ist, dass die Übertragung der Daten an die Unfallversicherungsträger nicht mehr von der Einwilligung der Beschäftigten abhängig ist.
  • Erweiterte Schulungs- und Unterweisungspflichten: Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeiter zu den neuen Regelungen unterweisen und sicherstellen, dass die Arbeitsplätze regelmäßig überprüft werden.
  • Berücksichtigung psychischer Belastungen: Die GefStoffV fordert gezielte Maßnahmen zur Unterstützung der psychischen Gesundheit von Beschäftigten, die mit hochgefährlichen Stoffen umgehen.
  • Informationspflichten: Veranlasser von Tätigkeiten an baulichen oder technischen Anlagen müssen ausführenden Unternehmen alle verfügbaren Informationen über vorhandene oder vermutete Gefahrstoffe zur Verfügung stellen. Diese Novellierung stellt einen wichtigen Schritt zur Verbesserung des Arbeitsschutzes dar und erfordert von Unternehmen eine sorgfältige Umsetzung der neuen Bestimmungen.

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Kennzeichnung von CMR-Stoffen

Wie erkenne ich einen CMR-Stoff? CMR-Stoffe können anhand folgender Merkmale erkannt werden:

GHS08-Piktogramm: CMR-Stoffe sind mit einem Gefahrensymbol gekennzeichnet, das einen sich auflösenden Oberkörper in einem roten Warnviereck zeigt:
desc
H-Sätze: Auf dem Etikett oder im Sicherheitsdatenblatt finden sich spezifische Gefahrenhinweise (H-Sätze) für CMR-Stoffe:
H340/H341: Kann genetische Defekte verursachen (oder vermutlich)
H350/H351: Kann Krebs erzeugen (oder vermutlich)
H360/H361: Kann die Fruchtbarkeit beeinträchtigen oder das Kind im Mutterleib schädigen (oder vermutlich)
Sicherheitsdatenblatt:  Detaillierte Informationen zu den Stoffeigenschaften sind im Abschnitt 2 des Sicherheitsdatenblatts (SDB) zu finden.
Kennzeichnung: CMR-Stoffe müssen nach dem Globally Harmonised System (GHS) gekennzeichnet sein.
Einstufung: CMR-Stoffe werden in Kategorien 1A, 1B oder 2 eingestuft, je nach Evidenz ihrer Wirkung.
Gefahrstoffverzeichnis: In Betrieben sollten CMR-Stoffe im Gefahrstoffverzeichnis aufgeführt sein.

CMR Stoffe und besondere Schutzmaßnahmen

Ergibt die Substitutionsprüfung, dass ein Ersetzen von CMR-Stoffen durch weniger gefährliche Stoffe nicht möglich ist, sollte in der Gefährdungsbeurteilung die Verwendung geschlossener Systeme berücksichtigt werden. Nachdem diese als Option bei den zusätzlichen Schutzmaßnahmen genannt werden, zählen sie nicht länger zu den besonderen Schutzmaßnahmen. Dementsprechend sind geschlossene Systeme keine verbindliche Forderung für Tätigkeiten mit CMR-Stoffen. Das bedeutet, wenn ein geschlossenes System erforderlich ist, muss dies jetzt in der Gefährdungsbeurteilung gefordert und begründet werden.

§ 10 Abs. 1 GefStoffV Geht man davon aus, dass die bisherige Forderung der Verwendung eines geschlossenen Systems auch heute noch dem Stand der Technik und Sicherheitsvorsorge dient, kann man nur den Schluss ziehen, dass beim Umgang mit CMR-Stoffen ein geschlossenes System nach § 9 Abs. 2 eingesetzt werden muss.

Neu im Bündel der besonderen Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit CMR-Stoffen ist der Verweis auf Anhang II Nr. 6 GefStoffV. Dies entspricht dem früheren Anhang IV Nr. 23 mit der Ergänzung der besonders gefährlichen krebserzeugenden Stoffe Dimethyl- und Diethylsulfat. Die in diesem Anhang genannten Stoffe dürfen ausschließlich in geschlossenen Systemen gehandhabt werden. Ausgenommen von dieser Forderung sind lediglich Anwendungen im Rahmen von Forschungs-, Analyse- und wissenschaftlichen Lehrzwecken, wenn dabei die dafür zum Einsatz kommenden Mengen auf das erforderliche Maß beschränkt werden. Auch bei diesen Stoffen sind Tätigkeiten mit geringer Gefährdung daher grundsätzlich nicht denkbar. In Abs. 1 wird auch festgelegt, dass ungeachtet von Abs. 2 die Bestimmungen der Absätze 3 bis 5 zu erfüllen sind.

CMR Stoffe im Arbeitsschutz: Das sollten Unternehmen jetzt tun

Arbeitgeber sind verpflichtet, zunächst zu überprüfen, ob sie von der novellierten Gefahrstoffverordnung betroffen sind. Falls in ihrem Betrieb CMR-Stoffe hergestellt oder verwendet werden, müssen die internen Prozesse entsprechend angepasst werden. Bauunternehmen sind besonders gefordert, die geänderten Anforderungen umzusetzen. Dies betrifft vor allem die vom Auftraggeber bereitzustellenden Informationen sowie die erforderliche Qualifikation der Beschäftigten. Die folgenden Schritte empfehlen sich dabei:

 1. Aktualisierung der Gefährdungsbeurteilung

Überprüfung aller Arbeitsprozesse auf den Umgang mit CMR-Stoffen.

Bewertung neuer Risiken gemäß den erweiterten Vorschriften.

2. Anpassung der Schutzmaßnahmen

Einführung geschlossener Systeme, wenn technisch möglich.

Bereitstellung von persönlicher Schutzausrüstung (PSA) gemäß den Anforderungen.

3. Schulung der Mitarbeiter

Durchführung von Schulungen zu den neuen Regelungen und Risiken.

Sensibilisierung der Beschäftigten für den sicheren Umgang mit CMR-Stoffen.

4. Regelmäßige Überprüfungen

Kontinuierliche Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften.

Dokumentation und Berichterstattung über Expositionen und Schutzmaßnahmen.

Unterstützung und Information für Betriebe

→ Berufsgenossenschaften und Unfallkassen informieren und unterstützen Betriebe umfassend bei der Umsetzung der neuen Verordnung durch

  • Beratung durch Aufsichtspersonen
  • Bereitstellung von Informationsmedien
  • Angebot von Fortbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen

Detaillierte Informationen zu Gefahrstoffen finden Betriebe in der GESTIS-Stoffdatenbank der DGUV.

Fazit

Die Reform der Gefahrstoffverordnung ist ein wichtiger Anker für den Arbeitsschutz. Unternehmen müssen die neuen Anforderungen frühzeitig umsetzen, um ihre Mitarbeiter besser zu schützen und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu gewährleisten. Die Novellierung der GefStoffV bietet die Grundlage für eine sichere Arbeitsumgebung.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu CMR Stoffe und Reform der Gefahrstoffverordnung

1. Was sind CMR-Stoffe? CMR-Stoffe sind Substanzen, die als krebserzeugend, keimzellmutagen oder reproduktionstoxisch eingestuft werden und erhebliche Gesundheitsrisiken darstellen.

2. Was ändert sich durch die Reform der GefStoffV? Die Reform erweitert das Expositionsverzeichnis um reproduktionstoxische Stoffe, fordert geschlossene Systeme für bestimmte CMR-Stoffe und koppelt Schutzmaßnahmen an das individuelle Krebsrisiko.

3. Was bedeutet die Verwendung in geschlossenen Systemen? Geschlossene Systeme verhindern den direkten Kontakt mit gefährlichen Stoffen, indem sie den Arbeitsprozess vollständig abgeschirmt durchführen.

4. Welche Pflichten haben Arbeitgeber? Arbeitgeber müssen ihre Gefährdungsbeurteilungen aktualisieren, Schutzmaßnahmen anpassen, Schulungen durchführen und die Einhaltung der Vorschriften regelmäßig überprüfen.

5. Wie profitieren Unternehmen von den neuen Regelungen? Die verbesserten Sicherheitsstandards minimieren Krankheitsrisiken, erhöhen die Mitarbeiterzufriedenheit und reduzieren rechtliche Risiken.

Quellen: „Die Gefahrstoffverordnung“; BG Bau