Gewalt am Arbeitsplatz: Formen, rechtliche Rahmenbedingungen, Maßnahmen

04.03.2025 | S.Horsch – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH

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Gewalt am Arbeitsplatz bleibt ein drängendes Problem, das nicht nur physische Übergriffe, sondern auch psychische Belastungen wie Mobbing und verbale Angriffe umfasst. Eine aktuelle forsa-Umfrage im Auftrag der DGUV zeigt, dass insbesondere Beschäftigte im Gesundheitswesen und öffentlichen Dienst betroffen sind. Mit der Kampagne #GewaltAngehen rücken Berufsgenossenschaften und Unfallkassen die Prävention in den Fokus, um sichere und respektvolle Arbeitsbedingungen zu fördern.
Inhaltsangabe:

Was zählt als Gewalt am Arbeitsplatz?

Gewalt am Arbeitsplatz zeigt sich in vielerlei Gestalt und reicht über körperliche Angriffe weit hinaus. Psychische Gewalt – darunter systematisches Mobbing, herabsetzende Kommentare oder das bewusste Ausgrenzen von Kolleginnen und Kollegen – ist laut einer DGUV-Umfrage aus 2024 die häufigste Form psychischer Belastung. Vor allem Beleidigungen und Beschimpfungen haben 32 Prozent der Befragten nach eigenen Angaben bereits teils mehrfach erlebt. Sexualisierte Gewalt und/oder sexuelle Belästigung tritt besonders in Branchen mit ungeschützten Kundenkontakten auf, wie beispielsweise in der Gastronomie oder in der Pflege

Gewalt am Arbeitsplatz: Ergebnisse der forsa-Umfrage 2024

Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) hat gemeinsam mit Berufsgenossenschaften und Unfallkassen die Kampagne #GewaltAngehen ins Leben gerufen. Ziel ist es, Gewalt am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen und bei ehrenamtlicher Tätigkeit zu verhindern. Eine repräsentative forsa-Umfrage zeigt hierzu wie oben schon erwähnt, dass etwa ein Drittel der Beschäftigten mit regelmäßigem Kundenkontakt in den vergangenen zwölf Monaten vor der Umfrage verbale Übergriffe erlebt hat. Besonders betroffen sind: 

  • Gesundheits- und Sozialwesen sowie die öffentliche Verwaltung (über 50 Prozent der Befragten betroffen) 
  • Verkehr, Handel und Erziehung (über 30 Prozent betroffen) 

Häufigste Gewaltformen

  • Psychische Gewalt dominiert: 32 Prozent berichten von Beleidigungen und Beschimpfungen, 12 Prozent von Schikanen oder Verleumdungen, 7 Prozent von Drohungen oder Erpressung, 6 Prozent von sexualisierter psychischer Gewalt. 
  • Körperliche Gewalt ist seltener: 8 Prozent der Befragten berichten von physischen Übergriffen wie Schubsen, Anspucken, Schlägen oder Tritten. Im Gesundheits- und Sozialwesen liegt der Anteil mit 22 Prozent jedoch deutlich höher. 

Studien zeigen, dass viele Betroffene Vorfälle aus Angst vor Repressalien nicht melden, was zu Traumata und betriebswirtschaftlichen Folgen wie Produktivitätseinbußen führen kann

Rechtliche Rahmenbedingungen und Arbeitgeberverantwortung bei Gewalt am Arbeitsplatz

Gesetzliche Grundlagen der Präventionspflicht

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) bilden die Basis für Gewaltprävention: Das  ArbSchG legt die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers bei Gewalt am Arbeitsplatz fest. Dabei müssen Gefährdungsbeurteilungen potenzielle Gefahrenquellen identifizieren, einschließlich Stressoren wie Schichtarbeit oder konfliktträchtige Kundeninteraktionen.

Arbeitgebende müssen gemäß § 3 AGG diskriminierungsfreie Arbeitsbedingungen gewährleisten, was explizit den Schutz vor Belästigung umfasst. Ein oft übersehener Aspekt ist die Androhung von Gewalt: Schon das Drohen mit körperlichen Konsequenzen kann gemäß § 241 StGB arbeitsrechtliche Maßnahmen bis zur Versetzung des Täters erfordern.

Betriebsrat und Beschwerdemanagement

Betriebsräte spielen eine Schlüsselrolle bei der Implementierung von Meldewegen. So sollen Modelle wie die Corporate Security Platform der Deutschen Bahn beispielsweise Hemmschwellen reduzieren: Diese Plattform soll sicherheitsrelevante Ereignisse in Echtzeit erfassen und auswerten, um das Sicherheitsempfinden von Mitarbeitenden und Reisenden zu verbessern.

Formen der Gewalt am Arbeitsplatz: sexualisierte Gewalt und Mobbing am Arbeitsplatz

Sexualisierte Gewalt

Besonders vulnerabel sind Berufsgruppen mit Abhängigkeitsverhältnissen. In Pflegeheimen beispielsweise nutzen Täter oder Täterinnen oft die Intimsphäre der Betreuung aus. Spezielle Schulungen, die Grenzverletzungen thematisieren und Handlungsroutinen etablieren, können den Betroffenen dabei Entlastung, Selbstwirksamkeit und Schutz vermitteln.

Psychische Gewalt: von Lästern bis Mobbing am Arbeitsplatz

Lästern, Gerüchteverbreitung oder das Vorenthalten von Informationen gelten als passive Aggression, die langfristig das Selbstwertgefühl der Betroffenen untergräbt.

Mobbing am Arbeitsplatz geht noch einen Schritt weiter: Als systematische und wiederholte Schikane zielt es allein darauf ab, eine Person zu demütigen, zu isolieren oder zu schädigen. Es umfasst oft eine hinterhältige Kombination aus Lästern, Gerüchteverbreitung und dem Vorenthalten von Informationen und hebt sich von diesen einzelnen Gewaltformen aber durch seine Dauer und Intensität ab. Was sind typische Merkmale von Mobbing?

  1. Gewalt: Grenzüberschreitendes Verhalten wie Beleidigungen, Isolation oder körperliche Angriffe verletzen das Wohlbefinden einer Person und werden von ihr nicht „als Spaß“ empfunden.
  2. Kräfteungleichgewicht: Mobbing findet oft in einer Situation statt, in der das Opfer in einer unterlegenen Position ist, zum Beispiel allein gegen mehrere Angreifer oder in einer Situation, in der es keine Unterstützung findet.
  3. Wiederholung und Dauer: Mobbing zeichnet sich durch häufig wiederholte negative Handlungen über einen längeren Zeitraum aus, die das Opfer systematisch belasten und verunsichern.
  4. Hilflosigkeit: Mobbing-Opfer fühlen sich meist hilflos der Situation ausgeliefert. Handlungen und Reaktionen aus eigener Kraft werden als sinnlos empfunden bzw. verschlimmern die Situation.
  5. Psychologische und soziale Auswirkungen: Mobbing führt oft zu psychischen und sozialen Problemen beim Opfer, wie Angst, Depressionen oder sozialer Isolation.
  6. Eskalation über Phasen: Mobbing entwickelt sich häufig in Phasen, beginnend mit einem Auslöser, gefolgt von einer Zuspitzung der Situation, Eskalation der Angriffe und schließlich einer Endphase, in der das Opfer oft schwerwiegende Konsequenzen erleidet.

Diese Merkmale können je nach Kontext variieren, sind aber grundlegende Aspekte, die bei der Erkennung von Mobbing berücksichtigt werden sollten.

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Gefahren am Arbeitsplatz können nicht nur durch zwischenmenschliche Konflikte entstehen, sondern auch durch unzureichende Sicherheitsmaßnahmen oder den unsachgemäßen Umgang mit Gefahrstoffen.

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Was tun bei Gewalt am Arbeitsplatz?

Allgemein sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihnen Beschäftigten nicht selbst durch Eingriffe in deren Persönlichkeits- oder Freiheitssphäre zu verletzen und diese vor Belästigungen durch Mitarbeiter oder Dritte, auf die sie Einfluss haben, zu schützen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 30. November 2015 – Az. 3 Sa 371/15). Greift in einem Fall von Mobbing am Arbeitsplatz das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), weil zum Beispiel die Diskriminierungsmerkmale des Geschlechts, der Rasse oder auch des Alters verletzt werden, so ist der Arbeitgeber überdies nach den §§ 3, 7 AGG zum Einschreiten verpflichtet.

Prävention durch Aufklärung der Mitarbeiter über unzulässige Verhaltensweisen

In einem solchen Fall sind Arbeitgeber in Erfüllung ihrer Fürsorgepflicht verpflichtet, abhängig von den Umständen des Einzelfalls folgende Maßnahmen zu ergreifen (§ 12 AGG):

  • Ermahnung des Täters
  • klärende Gespräche mit dem Täter
  • Umsetzung oder Versetzung
  • Abmahnung 
  • ggf. Kündigung des Täters

Diese Maßnahmen sind seitens des Arbeitgebers nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit anzuwenden. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Schwere des konkreten Vorfalls sowie der Umstand, ob es sich um eine erstmalige oder eine wiederholte Verfehlung handelt (ErfK/Schlachter AGG § 12 Rn. 3). Als erster Schritt bietet sich zumeist ein klärendes Gespräch mit dem Täter an, in welchem dieser aufgefordert wird, von entsprechenden Verhaltensweisen zukünftig Abstand zu nehmen. Erst wenn diese Maßnahme keine Wirkung zeigt, sollte der Arbeitgeber durch Versetzung, Abmahnung bzw. Kündigung (siehe oben) Abhilfe schaffen.

Ein Handlungsleitfaden für von Gewalt am Arbeitsplatz betroffene Mitarbeiter

Eine schrittweise Eskalationskontrolle bei Gewalt am Arbeitsplatz könnte folgendermaßen aussehen:

1. Sofortmaßnahmen

  • In einer akuten Gefahr sollten sich Betroffene sofort in Sicherheit bringen.
  • Alarmierung von Kollegen oder Sicherheitspersonal:

2. Dokumentation und Erste Schritte

Ein detailliertes Gewalttagebuch mit Datum, Uhrzeit und Zeuginnen sichert die Beweislage. Arbeitsrechtsexperten raten, Vorfälle innerhalb von 48 Stunden der Vertrauensperson oder dem Betriebsrat zu melden.

3. Externe Unterstützungsangebote annehmen

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes bietet kostenlose Rechtsberatung, während Vereine wie „White Ribbon“ Betroffene sexualisierter Gewalt durch psychologische Begleitung unterstützen.

Was tun gegen Lästern am Arbeitsplatz?

Es empfehlen sich einige Schritte, die man unternehmen kann, wenn man sich mit Lästern am Arbeitsplatz konfrontiert fühlt:

  1. Direkte Konfrontation: Die Lästernden werden direkt darauf angesprochen werden und erklären, ob es Probleme gibt, die besprochen werden sollten.
  2. Öffentliche Thematisierung: Ohne direkte Anschuldigung wird das Thema innerhalb eines Team-Meetings angesprochen und nach einer gemeinschaftlichen Lösung gesucht.
  3. Dokumentation: Alle Vorfälle werden schriftlich festgehalten, einschließlich Datum, Uhrzeit und Beteiligter. Dies kann bei späteren Beschwerden oder rechtlichen Schritten hilfreich sein.
  4. Vorgesetzte informieren: Wenn direkte Ansprachen nicht helfen, sollte der Vorgesetzte informiert werden. Dieser ist verpflichtet, ein respektvolles Arbeitsumfeld sicherzustellen.
  5. Klare Regeln aufstellen: Arbeitgeber sollten klare Richtlinien für unerwünschtes Verhalten definieren und regelmäßige Gespräche führen, um Missverständnisse zu vermeiden.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Thema Gewalt am Arbeitsplatz

1. Ist Gewalt am Arbeitsplatz ein Kündigungsgrund?

Ja, Gewalt am Arbeitsplatz kann ein Kündigungsgrund sein. Ein tätlicher Angriff auf Kollegen oder Vorgesetzte stellt eine schwere Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten dar und kann sowohl eine ordentliche als auch eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. In der Regel ist in solchen Fällen keine vorherige Abmahnung erforderlich.

2. Welche Maßnahmen kann ein Arbeitsschutz-Beauftragter zur Gewaltprävention empfehlen?

Ein Arbeitsschutz-Beauftragter kann folgende Maßnahmen vorschlagen:

  • Gefährdungsanalysen zur Identifikation von Risikobereichen
  • Schulungen und Deeskalationstrainings für Mitarbeitende
  • Melde- und Beschwerdesysteme, idealerweise anonymisiert
  • Klare betriebliche Richtlinien mit einer Null-Toleranz-Politik gegenüber Gewalt
  • Technische Schutzmaßnahmen, zum Beispiel Panik-Buttons oder Überwachungssysteme

3. Wer definiert Gewalt am Arbeitsplatz?

Eine weit verbreitete Definition für Gewalt am Arbeitsplatz stammt von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Sie beschreibt Gewalt am Arbeitsplatz als „Jede Handlung, Begebenheit oder von angemessenem Benehmen abweichendes Verhalten, wodurch eine Person im Verlauf oder in direkter Folge ihrer Arbeit schwer beleidigt, bedroht, verletzt, verwundet wird.“

4. Wie kann ein Unternehmen eine nachhaltige Präventionskultur etablieren?

Eine Präventionskultur entsteht durch langfristige und konsequente Maßnahmen. Dazu gehören regelmäßige Schulungen, eine offene Kommunikation über das Thema Gewalt und klare betriebliche Richtlinien. Führungskräfte sollten als Vorbilder agieren und die Meldebereitschaft der Mitarbeitenden fördern, indem sie Schutzmechanismen und Unterstützungsangebote sichtbar machen. Ein starkes internes und externes Netzwerk aus Sicherheitsbeauftragten, Beratungsstellen und Betriebsräten kann zusätzlich zur Prävention beitragen.

Fazit: Gewalt am Arbeitsplatz als unterschätztes Risiko

Gewalt am Arbeitsplatz umfasst mehr als körperliche Angriffe – psychische Gewalt wie Mobbing am Arbeitsplatz, Beleidigungen und Ausgrenzung dominiert. Besonders Mitarbeitende in kundenintensiven Bereichen und im Gesundheitswesen sind betroffen. Arbeitgeber müssen laut Gesetz präventive Maßnahmen ergreifen und durch klare Meldewege sowie Schulungen ein sicheres, diskriminierungsfreies Arbeitsumfeld gewährleisten. Dokumentation und betriebliche Unterstützungsangebote helfen, langfristige psychische und wirtschaftliche Schäden zu vermeiden. 

Gleichzeitig braucht es gesetzliche Nachschärfungen: Die geplante EU-Richtlinie zur psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz wird voraussichtlich ab 2026 verbindliche Stressaudits und Mindeststandards für Betroffenenunterstützung vorschreiben. Bis dahin liegt es an Arbeitgebenden, die gesetzlichen Vorgaben nicht als Minimalstandard, sondern als Fundament einer wertschätzenden Unternehmenskultur zu begreifen – denn Sicherheit ist kein Kostenfaktor, sondern die Basis jeder erfolgreichen Zusammenarbeit.

Quellen: DGUV; „Das neue GmbH-Recht – Praxishandbuch für Geschäftsführer und Gesellschafter“; „Sicherheitshandbuch Arbeitsschutz“