Räumung und Evakuierung: VDI 4062 unterstützt bei der Räumungs- bzw. Evakuierungsplanung
03.06.2019 | JS – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH
Egal ob Evakuierung oder Räumung, das Verbringen von Menschen aus einer Gefahrenzone bedarf einer gründlichen Planung und, wo es möglich ist, auch Übung. Verantwortliche müssen also ein Räumungs- bzw. Evakuierungskonzept erstellen und testen. Weil die Planung individuelle Gegebenheiten einschließt, ist es schwierig, allgemeingültige Maßnahmen zu benennen. Die VDI 4062 kann jedoch als Handlungsleitfaden dienen.
Begriffsdefinition: Was ist der Unterschied zwischen „Evakuierung“ und „Räumung“?
Evakuierung | Räumung |
Unter Evakuierung wird in der Regel das organisierte Verlegen von Menschen aus einem bedrohten in einen sicheren Bereich verstanden. Die zu rettenden Personen werden anschließend an die Evakuierung irgendwo aufgenommen, untergebracht und versorgt. Von Evakuierung spricht man, wenn bspw. ganze Stadtteile aufgrund einer Bombenentschärfung evakuiert werden. |
Eine Räumung ist in der Regel eine kurzfristige Evakuierung, ohne umfangreiche Unterbringungs- oder Versorgungsaktivitäten. Es ist also richtig, wenn Arbeitgeber von einer Räumung und nicht von einer Evakuierung sprechen. |
Hinweis: In der VDI 4062 ist von „kurzzeitiger“ und „langzeitiger“ Evakuierung die Rede. Das widerspricht jedoch dem üblichen Sprachgebrauch bei den Sicherheitsbehörden und sollte deshalb vermieden werden.
Die Erstellung einer Räumungs- bzw. Evakuierungsplanung für Gebäude wird in unterschiedlichen gesetzlichen Texten gefordert (je nach Nutzungsart), jedoch gab es vor April 2016 keine konkreten Vorgaben zur Umsetzung. Das hat sich mit der VDI 4062 geändert, die zumindest eine Orientierung zur Erstellung eines Konzepts gibt.
Die Planung der Maßnahmen kann auch deshalb nur schwer allgemeingültigen Regeln folgen, weil es neben der Brandgefahr vielerlei andere mögliche Gefahrensituationen gibt, die in der Räumungs- bzw. Evakuierungsplanung berücksichtigt werden müssen (Hochwasser, Bombendrohung, Chemieunfall, Amoklauf, Einsturz etc.). Jedes Ereignis erfordert unterschiedliche Schutzmaßnahmen.
VDI 4062 gibt Orientierung für die Räumungs- bzw. Evakuierungsplanung
Der Aufbau der VDI 4062 kann als Orientierung für die Räumungs- und Evakuierungsplanung dienen (auch wenn nicht in allen Fällen alle Punkte abgedeckt werden können). Denn der Hintergrund der VDI 4062 ist ein Handlungsleitfaden zur Erstellung von Räumungs- bzw. Evakuierungskonzepten. Die Planung kann also dem Aufbau der Norm folgen:
Aufbau der VDI 4062
- Anwendungsbereich
- Begriffe
- Abkürzungen
Die ersten drei Punkte des Inhaltsverzeichnisses sind für die Räumungs- und Evakuierungsplanung nur indirekt relevant. - Auslösende Ereignisse
In diesem Kapitel der VDI 4062 sind mögliche auslösende Ereignisse aufgeführt. Der Verantwortliche für die Evakuierung bzw. Räumung prüft, welche Ereignisse für seinen Bereich von Bedeutung sind. - Bestandsaufnahme
Bei diesem Planungsschritt geht es darum, die Bestandssituation des Gebäudes genau zu erfassen. Es wird unterschieden in
– bauliche Substanz,
– technische Einrichtungen,
– vorhandene Organisation zur Evakuierung bzw. Räumung,
– Personen,
– besondere gefahrenerhöhende Aspekte und
– zu berücksichtigende Schnittstellen.
Dabei sollten Verantwortliche nicht nur das eigene Gebäude analysieren, sondern auch angrenzende Gebäude berücksichtigen. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen zudem Baustellensituationen. - Aufgabenbeschreibung
Der Aufgabenbeschreibung sowie -verteilung kommt eine besondere Bedeutung zu. Denn nur wenn im Notfall jedem klar ist, was seine Aufgabe ist und wie er sich zu verhalten hat, kann eine Räumung bzw. Evakuierung erfolgreich verlaufen. Speziell beschrieben werden dabei die Führungsaufgaben sowie die Organisationsaufgaben. - Evakuierungskriterien und deren Aufhebung
In diesem Kapitel beschreibt die VDI 4062 mögliche Wege zur Einleitung einer Räumung bzw. Evakuierung (z. B. Brandmeldeanlagen). Gleichzeitig wird aufgezeigt, wann ein geräumtes bzw. evakuiertes Gebäude wieder betreten werden darf. - Alarmierung zur Evakuierung bzw. Räumung
Die Alarmierung ist eines der wichtigsten Elemente der Räumungs- und Evakuierungsplanung. Die getroffenen Maßnahmen sollten den betrieblichen bzw. örtlichen Gegebenheiten angepasst werden. Reicht eine akustische Alarmierung aus oder wird zusätzlich eine visuelle Alarmierung benötigt?
In diesem Schritt sollten Verantwortliche auch klären, auf welche Art und Weise die Kommunikation während der Räumung bzw. Evakuierung stattfinden soll – mit Mobiltelefonen, Megafon etc.? - Maßnahmen zur Evakuierung bzw. Räumung besonderer Personengruppen
Die Evakuierung bzw. Räumung von Menschen, die in ihrer Mobilität oder ihrem Sehvermögen eingeschränkt sind, benötigt besonderer Betrachtung.
- Übung
Die fertigen Räumungs- bzw. Evakuierungskonzepte müssen anschließend in regelmäßigen Abständen geübt und gegebenenfalls optimiert werden. - Diverse Anhänge
Evakuierungshelfer: Wie viele sind vorgeschrieben?
Ein wichtiger Bestandteil für den sicheren Verlauf einer Räumung bzw. Evakuierung sind gut ausgebildete Evakuierungshelfer. Wie viele es genau sein müssen, ist gesetzlich nicht vorgeschrieben. Vielmehr ist es die Pflicht des Arbeitgebers bzw. Geschäftsführers, eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen und anhand der Ergebnisse eigenmächtig zu bestimmen, wie viele Evakuierungshelfer er ausbilden will. In Gebäuden mit besonders viel Kundenverkehr ist eine höhere Anzahl zumindest empfehlenswert.
Eine Zusammenfassung mit den wichtigsten Vorgaben, etwa zur Bestellung, Qualifiktion oder den gesetzlichen Anforderungen bietet der Beitrag „Evakuierungshelfer: Ausbildung, Aufgaben und Unterschied zum Brandschutzhelfer“.
Betriebe können auf Evakuierungshelfer verzichten
Hat ein Betrieb ausreichend viele Brandschutzhelfer, kann der Arbeitgeber auf Evakuierungshelfer verzichten. Bei den Brandschutzhelfern ist zu beachten, dass in der ASR A2.2 „Maßnahmen gegen Brände“ eine Mindestanzahl vorgegeben ist – der Anteil von mindestens 5 % der Beschäftigten darf nicht unterschritten werden.
Räumung bzw. Evakuierung – spielt die Gebäudeart eine Rolle?
Grundlegende Aspekte wie die Auswahl von Sicherheitskennzeichnungen, die Installation von Sicherheitsbeleuchtung oder die Bestellung von Evakuierungshelfern sind feste Bestandteile der Räumungs- bzw. Evakuierungsplanung und gelten für alle Gebäudearten. Es gibt jedoch Besonderheiten, die Verantwortliche beachten müssen. Ein paar Beispiele:
Räumung von Bürogebäuden
Bürogebäude zu räumen ist verhältnismäßig „einfach“, wenn der Arbeitgeber alle verpflichtenden Vorkehrungen getroffen hat: Die Beschäftigten kennen das Räumungskonzept, weil sie regelmäßig unterwiesen wurden, jeder kennt die Flucht- und Rettungswege und weiß, wer Evakuierungs- bzw. Brandschutzhelfer ist. Außerdem wurde das Verhalten in einem Gefahrenfall anhand von Räumungsübungen trainiert, sodass die Räumung organisiert und meist sicher verläuft.
Räumung von Industriebetrieben
Ähnlich verhält es sich bei Industriegebäuden. Auch hier sind die Beschäftigten unterwiesen und eingeübt. In Industriegebäuden müssen Verantwortliche jedoch häufig weitreichendere Maßnahmen planen, weil diese Gebäude deutlich weitläufiger sind oder z. B. ständig Lärm herrscht, sodass die Alarmierungsanlage dementsprechend ausgewählt werden muss. Bei der Prüfung, welche Ereignisse möglich sind, wird der Verantwortliche außerdem mehr Szenarien in die Räumungsplanung aufnehmen müssen.
Sonderbauten bzw. Gebäude mit hohem Publikumsverkehr räumen
Schwieriger wird es bei Sonderbauten wie Flughäfen, aber auch Einkaufszentren. Der Großteil der Personen, die sich in diesen Gebäudearten aufhalten, ist ortsunkundig und hat die Räumung nicht geübt. Sie geraten in Panik und handeln aufgrund dessen oft unüberlegt. In solchen Sonderbauten kommt es insbesondere auf gut ausgebildete Evakuierungshelfer und intelligent durchdachte Orientierungshilfen an. Für Verkaufsstätten ist zudem die Musterverkaufsstättenverordnung (MVkVO) zu beachten.
Evakuierung bzw. Räumung von Hochhäusern
Die Räumung bzw. Evakuierung von Hochhäusern gestaltet sich deshalb schwierig, weil die zu rettenden Personen eine lange unwegsame Strecke zurücklegen müssen und kaum unterwiesen sind. Gemäß Muster-Hochhaus-Richtlinie (MHHR) aus dem Jahr 2008 ist in Hochhäusern bis zu einer Höhe von 60 Metern ein innenliegender Sicherheitstreppentraum als einziger Rettungsweg bauaufsichtlich zugelassen. Eine schnelle Räumung bzw. Evakuierung ist unter diesen Bedingungen nicht ohne Personengefährdung möglich. Zudem wird die Räumungsdauer verlängert.
Räumung von Veranstaltungen
(Öffentliche) Veranstalter müssen ein Sicherheitskonzept erstellen, das die Räumung einer Versammlungsstätte bzw. des Versammlungsortes regelt. Die Forderung ergibt sich aus der Musterversammlungsstättenverordnung (MVStättVO). |
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Quelle: „Sicherheitshandbuch Brandschutz“