Vertragsstrafe: Definition, Berechnung und rechtliche Rahmenbedingungen
17.11.2024 | S.Horsch – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH
Die Vertragsstrafe ist ein bewährtes Mittel zur Sicherstellung der Vertragserfüllung und findet besonders in sensiblen Bereichen wie Bau-, Liefer- und Dienstleistungsverträgen Anwendung. Als finanzielle Sanktion soll sie das Risiko für Vertragspartner mindern, dass Leistungen verspätet oder nicht ordnungsgemäß erbracht werden. Alles, was Sie dazu wissen sollten, sowie eine praktische Mustervorlage für einen BGB-Bauvertrag auf aktueller Rechtsgrundlage, finden Sie in diesem Beitrag.Inhaltsverzeichnis
- Was ist eine Vertragsstrafe? Definition und Grundlagen
- Vertragsstrafe: Was besagt das BGH-Urteil zur Unwirksamkeit von Vertragsstrafenklauseln?
- Wie berechnet man die Höhe einer Vertragsstrafe?
- Angemessene Grenzen für Vertragsstrafen
- Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Vertragsstrafe
- FAQs zur Vertragsstrafe
- Fazit: Vertragsstrafe als wichtiges Instrument im Vertragsrecht
Was ist eine Vertragsstrafe? Definition und Grundlagen
Je nach Art des Vertrages und Branche variieren die Bestimmungen zur Vertragsstrafe:
- Vertragsstrafe nach VOB: Diese spezielle Form der Vertragsstrafe betrifft das Bauwesen und enthält konkrete Vorschriften, die auf die Besonderheiten von Bauprojekten und deren mögliche Verzögerungen abgestimmt sind. Auf diese Art von Vertragsstrafe konzentriert sich der folgende Beitrag.
- Vertragsstrafe im Zivilrecht: Hier können Vertragsstrafen für verschiedenste Vereinbarungen genutzt werden, wie zum Beispiel bei Lieferverträgen.
Vertragsstrafen für die Überschreitung von Vertragsfristen sind gemäß §§ 9a und 9a EU VOB/A nur zu vereinbaren, wenn die Überschreitung erhebliche Nachteile verursachen kann. Die Strafe ist in angemessenen Grenzen zu halten.
Unter einer Vertragsstrafe im Sinne der vorgenannten Bestimmungen ist der Anspruch des Auftraggebers gegen den Auftragnehmer aufgrund einer gesonderten Vereinbarung für die Überschreitung von vereinbarten Vertragsfristen zu verstehen. Sinn und Zweck dieser Vertragsstrafenregelung für den Auftraggeber:
- einerseits ein Druckmittel in der Hand zu haben, um die termingerechte Fertigstellung des Bauwerks oder einzelner Bauwerksteile, für die eine Vertragsstrafe bei Fristüberschreitung vereinbart ist (strafende Vertragsfristen), zu sichern (Druckfunktion)
- andererseits die Möglichkeit einer erleichterten Schadloshaltung, ohne Nachweis des erlittenen Schadens oder Einzelnachweise zu erhalten (Kompensationsfunktion)
Zum Zeitpunkt der Vergabe muss somit für den Auftraggeber eine konkrete Möglichkeit bestehen, dass für ihn aufgrund der Fristüberschreitung erhebliche Nachteile entstehen können. Diese erheblichen Nachteile müssen nicht zwingend finanzieller Natur sein, sondern können auch andere wichtige Interessen des Auftraggebers betreffen, wie beispielsweise Reputationsschäden oder Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs. Es obliegt dem Auftraggeber, im Streitfall die Möglichkeit solcher erheblichen Nachteile zum Zeitpunkt der Vergabe plausibel darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen. Unter erheblichen Nachteilen, deren Voraussetzungen der Auftraggeber gegebenenfalls darlegen muss, sind vor allem Vermögensnachteile (wie Gebührenverluste, Mietverluste) oder sonstige schützenswerte Interessen (wie zum Beispiel der Schutz von historischen Bauwerken oder archäologischen Funden) zu verstehen.
Liegt aufgrund einer Prognoseentscheidung des Auftraggebers die Möglichkeit aufgrund der Fristüberschreitung vor, dass erhebliche Nachteile entstehen können, ist die Vereinbarung einer Vertragsstrafe immer zulässig. Dies gilt auch, wenn erhebliche Nachteile tatsächlich im Nachhinein nicht eingetreten sind.
Vertragsstrafe: Was besagt das BGH-Urteil zur Unwirksamkeit von Vertragsstrafenklauseln?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom 15. Februar 2024 entschieden, dass eine Vertragsstrafenregelung, die eine Strafe von 5 Prozent der Auftragssumme bei Einheitspreisverträgen vorsieht, unwirksam ist. Die Begründung: Diese Regelung benachteilige den Auftragnehmer unangemessen und verstoße gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Der BGH führte aus, dass der Begriff „Auftragssumme“ unklar sei und nicht die tatsächliche „Abrechnungssumme“ widerspiegele. Bei einer Klausel, die eine Vertragsstrafe von bis zu 5 Prozent der ursprünglich vereinbarten Netto-Auftragssumme vorsieht, kann die Vertragsstrafe die Grenze von 5 Prozent der Abrechnungssumme überschreiten. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn die tatsächlich ausgeführten Mengen geringer sind. Im vorliegenden Fall stand die Höhe der Vertragsstrafe daher nicht mehr in einem angemessenen wirtschaftlichen Verhältnis zum Werklohn.
Wichtig: Auftraggeber verwenden in ihren Vertragsmustern häufig Vertragsstrafenregelungen. Dabei ist zu beachten, dass eine formularmäßige Vertragsbestimmung nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist, wenn sie den Vertragspartner entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt.
Hinweise für die Praxis: Vorformulierte Vertragsstrafenregelungen (AGB) müssen klar und unmissverständlich formuliert sein, andernfalls sind sie mangels Transparenz unwirksam. Die Begriffe „Abrechnungssumme“, „Auftragssumme“, „Vertragssumme“ und „Schlussrechnungssumme“ sind mehrdeutig, da nicht klar ist, ob jeweils die Brutto- oder die Nettosumme gemeint ist. Weiter ist zu beachten, dass im Fall mehrdeutiger Formulierungen immer die für den Verwender ungünstigere Auslegung vorzunehmen ist. Es sollte daher darauf geachtet werden, keine mehrdeutigen Begriffe zu verwenden.
Wie berechnet man die Höhe einer Vertragsstrafe?
Zur Berechnung der Vertragsstrafe wird oft ein fester Prozentsatz des Vertragswerts als tägliche Sanktion für Verzögerungen vereinbart. Ein Beispiel für eine übliche Berechnung: Bei einem Projektwert von 100.000 Euro und einer Vertragsstrafe von 0,2 Prozent pro Tag der Verzögerung ergibt sich eine tägliche Strafe von 200 Euro.
Eine Vertragsstrafe ist grundsätzlich ein auf Zahlung einer Geldsumme gerichtetes Druckmittel, um einen Auftragnehmer zur Vertragstreue anzuhalten. |
Angemessene Grenzen für Vertragsstrafen
Gemäß der oben genannten Vorschrift ist es für eine wirksame Vertragsstrafenvereinbarung erforderlich, die Strafe in angemessenen Grenzen zu halten. Bei der Festlegung dieser Grenzen muss daher in der Regel sowohl eine absolute Obergrenze als auch ein angemessener Tagessatz des Vertragsstrafenanspruchs deutlich genannt werden. Der BGH hat hierzu bereits in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 festgestellt, dass eine Obergrenze, die über 5 Prozent der Auftragssumme hinausgeht, aufgrund der Benachteiligung des Auftragnehmers unangemessen und damit unwirksam ist. Auch das Vergabehandbuch sieht nunmehr eine Vertragsstrafe von maximal 5 Prozent der Auftragssumme oder 0,1 Prozent der Auftragssumme pro Werktag vor. Als Bezugsgröße ist vorwiegend die Auftragssumme (netto) genannt (auch in dem BGH-Urteil vom 23. Januar 2003). Die Auffassungen hierzu gehen jedoch teilweise auseinander, weil grundsätzlich zwischen der Angebotssumme, der Auftragssumme und der Schlussrechnungssumme (einschließlich aller Nachträge und Berichtigungen) unterschieden wird.
Wichtig ist für alle Regelungen und Formulierungen in den Vergabe- und Vertragsunterlagen, dass nicht mehrere Begriffe als Bezugsgröße verwendet werden (zum Beispiel neben dem Begriff „Auftragssumme “auch noch den Begriff „Schlussrechnungssumme “). Denn hierdurch wird unklar, was genau die Berechnungsgrundlage einer Vertragsstrafe sein soll, sodass die Vertragsstrafenregelung intransparent und daher unwirksam ist (siehe LG Osnabrück, Urteil vom 31. März 2011). Für eine Inanspruchnahme einer vereinbarten Vertragsstrafenregelung folgt aus § 341 Abs. 3 BGB, dass sich der Auftraggeber bei Annahme der Leistung die Vertragsstrafe vorbehalten muss, da das Fehlen eines Vorbehaltes grundsätzlich zum Verlust des Vertragsstrafenanspruchs führt.
Rechtsfolgen bei Verstoß gegen die Vertragsstrafe
Bei unverhältnismäßiger Höhe kann ein Vertragspartner die Vertragsstrafe anfechten. Bei eindeutig unangemessenen Klauseln entscheiden Gerichte oft zugunsten des Auftragnehmers, weshalb klare und faire Regelungen für beide Parteien vorteilhaft sind.
Gerichtsurteile und rechtliche Entwicklungen zur Vertragsstrafe
Urteile betonen stets die Wichtigkeit einer ausgewogenen Vertragsstrafe. So hat der Bundesgerichtshof mehrfach bestätigt, dass bei Unsicherheit über die Angemessenheit eine Herabsetzung erfolgt, wodurch Präzedenzfälle für die Auslegung im Vertragsrecht entstanden sind.
FAQs zur Vertragsstrafe
Wie unterscheidet sich eine Vertragsstrafe von Schadensersatz?
Eine Vertragsstrafe wird unabhängig davon fällig, ob ein tatsächlicher Schaden entstanden ist. Sie ist eine pauschale Sanktion, während Schadensersatz nur gezahlt wird, wenn ein konkreter finanzieller oder materieller Schaden nachgewiesen werden kann. Dadurch bietet die Vertragsstrafe eine zusätzliche Sicherheit für den Vertragspartner.
Welche gesetzlichen Vorgaben gibt es zur Vertragsstrafe?
Die gesetzlichen Grundlagen der Vertragsstrafe sind in den §§ 339-348 BGB geregelt, die insbesondere eine faire und angemessene Gestaltung der Vertragsstrafe fordern. Zudem wird die Angemessenheit durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) geprüft.
Was passiert, wenn eine Vertragsstrafe als unangemessen hoch eingestuft wird?
Wenn eine Vertragsstrafe als unangemessen hoch eingeschätzt wird, kann ein Gericht diese herabsetzen oder als unwirksam erklären. In der Praxis wird eine Strafe, die die wirtschaftliche Existenz der betroffenen Partei gefährdet, meist als unangemessen eingestuft und reduziert.
Wie wird eine Vertragsstrafe rechtssicher im Vertrag formuliert?
Die Formulierung der Vertragsstrafe sollte klar und eindeutig die Bedingungen festlegen, unter denen die Strafe fällig wird. Wesentliche Bestandteile sind die Angabe der Höhe, die prozentuale Berechnung, gegebenenfalls eine Obergrenze und genaue Bedingungen. Beispiel: „Bei Lieferverzögerung beträgt die Vertragsstrafe 0,2 Prozent des Auftragswerts pro Tag der Verzögerung.“
Fazit: Vertragsstrafe als wichtiges Instrument im Vertragsrecht
Die Vertragsstrafe ist eine wichtige Absicherung für Vertragspartner, sollte jedoch angemessen formuliert und verhältnismäßig eingesetzt werden. Vor allem die regelmäßige Überprüfung und Anpassung an aktuelle Rechtsprechungen schützt Unternehmen vor rechtlichen Nachteilen.
Quelle: Bauverträge und Baubriefe: Einsatzfertige Dokumente nach BGB und VOB für den rechtssicheren Schriftverkehr, FORUM VERLAG HERKERT GMBH, 2024; VOB und BGB am Bau, FORUM VERLAG HERKERT GMBH, 2024