Was bedeutet ein leidensgerechter Arbeitsplatz? – Gehalt, Anspruch und Beispiele

13.01.2025 | T. Reddel – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH

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Ein leidensgerechter Arbeitsplatz ermöglicht es Angestellten mit gesundheitlichen Einschränkungen, ihre Tätigkeit fortzusetzen. Unter bestimmten Voraussetzungen sind Arbeitgeber verpflichtet, solche Arbeitsplätze einzurichten. Welche Ansprüche bestehen, gelten sie auch im Homeoffice und was passiert, wenn der Arbeitgeber keinen leidensgerechten Platz anbietet?

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist ein leidensgerechter Arbeitsplatz? – Definition
  2. Wie sieht ein solcher Arbeitsplatz aus?
  3. Wann muss der Arbeitgeber einen leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten?
  4. Was passiert, wenn kein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden ist?
  5. Bedeutet ein leidensgerechter Arbeitsplatz weniger Gehalt?

Was ist ein leidensgerechter Arbeitsplatz?

Ein leidensgerechter Arbeitsplatz ist eine betriebliche Integrationsmaßnahme. Dabei wird ein bestehender Arbeitsplatz an Beschäftigte angepasst, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung ihre ursprünglichen Aufgaben nicht mehr allumfassend wahrnehmen können. Dies kann etwa nach schweren Arbeitsunfällen, traumatischen Erlebnissen oder bei angeborenen Beeinträchtigungen notwendig sein.

Ziel der Anpassungen ist es, die Leistungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten, ihnen die Ausübung ihrer Tätigkeit zu ermöglichen und sie vor einer möglichen Kündigung zu schützen.

Wie sieht ein solcher Arbeitsplatz aus?

Soll ein Arbeitsplatz leidensgerecht umgebaut werden, sind dabei die individuellen Bedürfnisse und Einschränkungen der betroffenen Person zu berücksichtigen. Um einen Arbeitsplatz leidensgerecht zu gestalten, können Unternehmen zum Beispiel die Arbeitsabläufe, die Arbeitszeit, das Arbeitsumfeld oder die Arbeitsaufgaben anpassen.

Dabei müssen Unternehmen sowohl die gesundheitlichen Einschränkungen der betroffenen Person als auch die betrieblichen Rahmenbedingungen berücksichtigen.

Beispiele für leidensgerechter Arbeitsplätze

Wie Unternehmen einen Arbeitsplatz leidensgerecht anpassen, zeigen folgende Beispiele:

Unabhängig von den gewählten Maßnahmen ist der Arbeitgeber unter bestimmten Voraussetzungen dazu verpflichtet, einen leidensgerechten Arbeitsplatz anzubieten.

Wann muss der Arbeitgeber einen leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten?

Grundsätzlich muss der Arbeitgeber einen leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten, wenn Angestellte nachweislich aus gesundheitlichen Gründen ihrer vertraglich vereinbarten Tätigkeit gar nicht mehr oder nicht mehr in vollem Maße nachgehen können.  Dann muss er prüfen, ob und wie er einen leidensgerechten Arbeitsplatz einrichten kann (BAG, Urteil vom 19.05.2010 - 5 AZR 162/09).

Hintergrund: Der Arbeitgeber bestimmt durch sein Weisungsrecht (§ 106 Gewerbeordnung) über den Arbeitsplatz seiner Angestellten. Außerdem muss er aufgrund seiner Fürsorgepflicht (chronisch) kranke Beschäftigte vor Benachteiligungen schützen. Besonders geschützt sind schwerbehinderte Menschen und ihnen Gleichgestellte nach dem SGB IX.

Durch das Direktionsrecht darf der Arbeitgeber betroffene Angestellte auf eine andere Stelle im Betrieb versetzen. Wichtig ist, dass diese Stelle den vereinbarten Tätigkeiten entspricht, sofern sie im Arbeitsvertrag beschrieben sind. Außerdem muss der Arbeitsplatz tatsächlich frei und nicht anderweitig  besetzt sein. Ist er vergeben, kann der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts auch die bisher dort beschäftigte Person versetzen. Allerdings muss die Zuweisung der gesunden Person gegenüber billigem Ermessen entsprechen. Außerdem kann sie der Versetzung widersprechen.

Anspruch auf leidensgerechten Arbeitsplatz

Ein möglicher Anspruch ergibt sich zum Beispiel aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers nach § 241 Absatz 2 BGB. Dieser Anspruch gilt ebenso für Arbeitnehmende, die nicht schwerbehindert oder gleichgestellt sind, aber gesundheitlich so beeinträchtigt sind, dass sie ihre bisherigen Tätigkeiten nicht weiter ausüben können. Allerdings muss hierfür die Arbeit oder der Tätigkeitsbereich im Arbeitsvertrag beschrieben sein.

Rechtlich lässt sich der Anspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz unter anderem aus folgenden Gesetzen ableiten:

  • Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX)
  • Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

In der Praxis kann ein leidensgerechter Arbeitsplatz beispielsweise im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) organisiert werden. Dieses ist verpflichtend, sobald Angestellte innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Dann prüft der Arbeitgeber unter anderem, ob ein leidensgerechter Arbeitsplatz bei der Wiedereingliederung helfen kann (sogenanntes milderes Mittel).

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Leidensgerechter Arbeitsplatz im Homeoffice?

Bislang gibt es keine allgemeingültige Regelung, ob Angestellte im Homeoffice ebenfalls einen leidensgerechten Arbeitsplatz beanspruchen dürfen. In Ausnahmefällen kann eine Homeoffice-Tätigkeit erforderlich sein, etwa wenn ein unüberwindbares Hindernis besteht, das die Arbeit außerhalb des Homeoffice unmöglich macht.

Dennoch sollten die Betroffenen jeden Fall einzeln prüfen, ob eine Tätigkeit im Homeoffice möglich und sinnvoll ist. Möglicherweise kann solch eine Maßnahmen die Gesundheit der Person besonders schützen und so das Arbeitsverhältnis erhalten.

Gründe kein leidensgerechter Arbeitsplatz

Unter bestimmten Umständen kann oder muss der Arbeitgeber keinen leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten.

Solche Gründe können beispielsweise sein:

  • Die Umgestaltung des Arbeitsplatzes stellt eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung für den Arbeitgeber dar.
  • Sie ist nicht mit den betrieblichen Abläufen vereinbar.
  • Es gibt keine geeigneten Ersatzstellen, auf die die Betroffenen versetzt werden können.
In solchen Fällen muss der Arbeitgeber mittels schriftlicher Bescheinigung begründen, warum kein leidensgerechter Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Oftmals reichen jedoch bereits einfache Änderungen an der Ausstattung oder Organisation des Arbeitsplatzes aus, um ihn leidensgerechter zu gestalten.

Was passiert, wenn kein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden ist?

Kann der Arbeitgeber keinen leidensgerechten Arbeitsplatz anbieten, kann er als letztes Mittel eine personenbedingte Kündigung aufgrund der Erkrankung des Arbeitnehmers aussprechen.

Haben Angestellte im Einzelfall einen Rechtsanspruch auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz und der Arbeitgeber kommt diesem nicht nach, sind rechtliche Schritte möglich. So können die Beschäftigten etwa Schadensersatz wegen Annahmeverzugs verlangen. Dieser Anspruch bezieht sich auf den Verdienst, der den Angestellten dadurch entgangen ist, dass sie in der Vergangenheit nicht leidensgerecht beschäftigt wurden.

Kann man einen leidensgerechten Arbeitsplatz einklagen?

Ja, Arbeitnehmende können einen leidensgerechten Arbeitsplatz einklagen. Allerdings müssen hierfür folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Die gesundheitliche Einschränkung ist nachgewiesen.
  • Mögliche leidensgerechte Tätigkeiten im Unternehmen sind dargelegt.
  • Die Anpassungen sind für den Arbeitgeber zumutbar.
Der Streitwert solcher Klagen richtet sich oftmals nach dem Jahresgehalt der Beschäftigten.

Um eine solche Klage zu vermeiden, muss der Arbeitgeber zunächst ein umfassendes BEM durchführen und dabei zum Ergebnis kommen, dass er die betroffene Person nirgendwo im Unternehmen leidensgerecht einsetzen kann. Anschließend kann er der betroffenen Person eine Abfindung anbieten, um etwaige Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

Bedeutet ein leidensgerechter Arbeitsplatz weniger Gehalt?

Nein, ein leidensgerechter Arbeitsplatz bedeutet nicht zwangsläufig weniger Gehalt. Grundsätzlich sollte die bisherige Vergütung möglichst beibehalten werden.

Eine geringere Vergütung ist etwa in folgenden Fällen möglich:

  • Wesentliche Änderung der Tätigkeit (deutlich andere oder geringere Anforderungen)
  • Verringerte Arbeitszeit (→ anteilige Gehaltsminderung)
  • Tarifliche Regelungen (etwa im öffentlichen Dienst oder in tarifgebundenen Unternehmen)

Ob die Gehaltskürzung tatsächlich den arbeitsrechtlichen Vorgaben entspricht, muss der Arbeitgeber im Einzelfall prüfen.

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Quellen: Rechtsanwalt Güler, AHS Rechtsanwälte, Rechtsanwalt Seyfried

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