Inhaltsverzeichnis
- Grundlagen und Potenzial Digitaler Zwillinge
- Revolutionierung der Planungs- und Bauphase durch eine digitale Kopie
- Nachhaltiger Zwilling und wirksames Lebenszyklusmanagement?
- Herausforderungen und Lösungsansätze
- Fazit
Grundlagen und Potenzial Digitaler Zwillinge
These: Das große Potenzial eines Digitalen Zwillings steckt in der Verschmelzung von Building Information Modeling (BIM), smarter Digitalisierung und K.I. Dieser Fachartikel versucht, die entsprechende Diskussion über die Möglichkeiten zu erweitern, die digitale Zwillinge in der Baubranche bieten, und betrachtet kritisch den Unterschied zu BIM und ihre Rolle im Kontext von Industrie 4.0 und Metaverse der Wirtschaft.
Digitaler Zwilling Bauwesen – ein Definitionsversuch
Ein Digitaler Zwilling ist eine hochpräzise virtuelle Repräsentation eines physischen Bauwerks, die dessen Daten und „Verhalten“ in Echtzeit widerspiegelt. Diese Technologie ermöglicht es, Gebäude über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg zu simulieren, zu analysieren und zu optimieren. Die Vorteile beginnen bereits in der Planungsphase, wo Digitale Zwillinge eine detailgenaue Visualisierung des Projekts bieten, die weit über traditionelle 2D-Pläne und potenziell auch über BIM-Lösungen hinausgeht. Sie ermöglichen eine umfassende Prüfung der Entwurfsentscheidungen, die Identifizierung potenzieller Probleme vor Baubeginn und die Optimierung der Gebäudeleistung.
Erste Unterschiede zu BIM-Modellen
Worin sich ein Digitaler Zwilling direkt von BIM-Modellen unterscheidet, ist, dass er nicht nur maßstabsgetreu in die geografische Region eingepflegt, sondern je nach Gebäudezweck auch dessen Betrieb simulieren kann. Die Nutzung durch Mensch und Maschinen über Jahre hinweg könnte so erprobt, dokumentiert und Schwachstellen direkt mitgeplant und ausgebessert werden.
Je nach vorliegendem Datensatz bezieht die Simulation Mikroebenen wie Abwasser- und Regenwassermanagement sowie Abfallentsorgung oder gar spezifische Szenarien wie Großbrände, Löschangriffe und Evakuierungen mit ein. Mit Unterstützung von K.I. können derartige Herausforderungen theoretisch bereits automatisch bei der Ersterstellung eines Digitalen Zwillings mitberechnet eingepreist werden.
Konnektivität und Metaverse
Roland Busch sprach in seinem eingangs erwähnten Vortrag „Industrie 4.0, Metaverse und Digitale Zwillinge“ auf der CES 2024 davon, dass der Digitale Zwilling in einer Art industriellem Metaverse existieren würde. Dieser Umstand sei entscheidend, damit alle beteiligten Parteien (Architekten, Planer, Bauleiter, Gewerke, Bauherr, Zulieferer, Gebäudebetreiber etc.) jederzeit Zugriff darauf hätten. Das klingt in der Theorie nach einer logischen Schlussfolgerung und einer Zeit- und damit Kostenminimierung aller Beteiligten. Problem hierbei wäre aber sicherlich der Datenschutz und das Auslesen ungemein großer Datenmengen (Big Data).
Das könnte das Konzept des Digitalen Zwillings von Beginn an unattraktiv, bzw. unsicher für KRITIS-Gebäude erscheinen lassen. In der Folge wäre ein geschlossenes System die einzige Lösung, wobei hier die genannten Vorzüge der Konnektivität und des Lebens im Metaverse wegfallen würden.
Revolutionierung der Planungs- und Bauphase durch eine digitale Kopie
Die Anwendung Digitaler Zwillinge in der Planungs- und Bauphase eines Projekts kann die Effizienz in puncto Zeitersparnis und Ressourcenaufwand erheblich steigern und Kosten reduzieren – und dabei über die Grenzen von BIM hinausgehen, indem die Arbeiten in unterschiedlichen Bauphasen simuliert und wahrscheinliche Risiken durchgespielt werden. Besonders interessant wird das Ganze, wenn unterschiedliche Anwendungsszenarien parallel getestet werden könnten. Für welche Heizungs- oder PV-Anlage wird sich entschieden? An welchen Stellen werden infrastrukturelle Knotenpunkte fixiert? Die Möglichkeiten bestimmte Szenarien in Relation zueinander „zu erproben“ birgt extrem großes Potenzial.
Durch die Simulation verschiedener Szenarien können Architekten und Ingenieure die Auswirkungen ihrer Entwürfe auf die Energieeffizienz, die Materialauswahl und die langfristigen Betriebskosten bewerten. Dies führt zu besser informierten Entscheidungen und einer höheren Bauqualität. Darüber hinaus ermöglicht die präzise Planung der Bauausführung durch Digitale Zwillinge eine effizientere Ressourcenallokation und Zeitplanung, was zu kürzeren Bauzeiten und geringeren Umweltauswirkungen führt.
Nachhaltiger Zwilling und wirksames Lebenszyklusmanagement?
Ein weiterer signifikanter Vorteil Digitaler Zwillinge liegt in ihrem Beitrag zur Nachhaltigkeit. Indem sie eine genauere Planung und einen effizienteren Betrieb von Gebäuden ermöglichen, tragen sie zur Reduzierung des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen bei. Über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg bieten digitale Zwillinge wertvolle Einblicke in die Wartungsbedürfnisse, was zu einer Verlängerung der Lebensdauer des Bauwerks und einer weiteren Ressourceneinsparung führt.
→ An dieser Stelle unterscheidet sich der Digitale Zwilling jedoch nur bedingt von einem BIM-Modell. Denn auch hier ist seit einigen Jahren die Dimension des Facility-Managements (BIM7D) hinzugekommen.
Herausforderungen und Lösungsansätze
Trotz der offensichtlichen Vorteile stehen der breiten Implementierung Digitaler Zwillinge in der Baubranche auch Herausforderungen gegenüber. Dazu gehören hohe Anfangsinvestitionen vor allem im Bereich der digitalen Infrastruktur, der Bedarf an spezialisierten Fachkenntnissen und die Notwendigkeit, bestehende Arbeitsabläufe anzupassen – wobei dies bei einer erhöhten Nachfrage letztendlich zu SaaS-Lösungen führen wird.
Darüber hinaus werfen Datenschutz und Datensicherheit wichtige Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Speicherung und Verarbeitung sensibler Informationen. Lösungsansätze umfassen die Entwicklung von Standards und Richtlinien für den Datenschutz, die Förderung von Aus- und Weiterbildung im Bereich digitaler Technologien und die Schaffung von Anreizen für die Adoption dieser Technologien durch die Industrie.
Fazit
Digitale Zwillinge haben das Potenzial, die Baubranche zu transformieren, indem sie eine effizientere Planung, Bauausführung und Gebäudebewirtschaftung ermöglichen. Ihre Integration in die Konzepte der Industrie 4.0 und eines Metaverse der Wirtschaft könnte diese Effekte noch verstärken. Trotz der Herausforderungen, die ihre Implementierung mit sich bringt, sind die Vorteile, die sie bieten, unübersehbar. Diese Technologie im Kombination mit Künstlicher Intelligenz kann die Weichen für eine nachhaltige, effiziente und digitale Zukunft des Bauwesens stellen. Die Baubranche ist inmitten einer Transformation, einer neuen digitalen Ära, in der Digitale Zwillinge eine zentrale Rolle spielen könnten. Bislang wird das Ganze jedoch nur bei innovativen Pilotprojekten, wie dem bereits erwähnten digitalen Fabrikbau einer neuen Siemens-Produktionsstätte der Fall war.