Zweiter Flucht- und Rettungsweg – Anforderungen und Vorschriften

16.05.2024 | J. Morelli – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH

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Es brennt im Betrieb, doch der erste ausgewiesene Flucht- oder Rettungsweg kann nicht genutzt werden, weil das Feuer von dort kommt oder der Gang blockiert ist. Was jetzt? Bei derartigen Situationen muss ein zweiter Flucht- und Rettungsweg zur Verfügung stehen, mit dem sich alle anwesenden Personen in Sicherheit bringen können. Welche Anforderungen gelten für Betriebe und welche baulichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein?

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Was ist der Unterschied zwischen einem Rettungsweg und einem Fluchtweg?
  2. Was ist der erste und was der zweite Flucht– und Rettungsweg?
  3. Gesetzliche Vorgaben für Gebäudebetreiber
  4. Allgemeine Anforderungen an Flucht und Rettungswege
  5. Vorgaben im baulichen Brandschutz
  6. Zweiter Flucht– und Rettungsweg im Einfamilienhaus und anderen Wohneinheiten
  7. Checkliste für den zweiten Flucht und Rettungsweg: Bauliche Regelungen

Was ist der Unterschied zwischen einem Rettungsweg und einem Fluchtweg?

Für die Unterscheidung von Flucht- und Rettungsweg ist wichtig zu wissen: Kann eine Person selbständig vor einer Gefahrensituation fliehen oder ist sie auf äußere Hilfe angewiesen? So muss es beim Fluchtweg möglich sein, dass die Person aus eigener Kraft und mit den örtlichen Ressourcen ausgestattet ihren Weg ins Freie findet. Sie muss demnach durchgehend aktiv handeln, um mithilfe des Fluchtwegs aus dem Gebäude zu gelangen.

Bei der Rettung müssen die bedrohten Personen mindestens solange an einem geschützten Ort ausharren können, bis die Hilfe durch Dritte eintrifft. Diese müssen wiederum über den Rettungsweg möglichst ohne Hindernisse zu den gefährdeten Personen kommen können. Somit zählt als Rettungsweg derjenige Weg, der von Feuerwehr oder Rettungskräften benutzt werden kann, um den Gefahrenbereich betreten oder verlassen zu können. In der Praxis stimmen Flucht- und Rettungsweg jedoch meistens überein.

Was ist der erste und was der zweite Flucht– und Rettungsweg?

Der erste Flucht– und Rettungsweg muss entweder direkt oder über eine notwendige Treppe bis zu einem Ausgang ins Freie führen. Der zweite Flucht– und Rettungsweg kann hingegen über eine der folgenden Mittel sichergestellt werden:

  • weiterer Ausgang
  • zusätzliche Treppe
  • Stelle, die die Feuerwehr mit ihren Rettungsgeräten erreichen kann.

Achtung: Durch die Auflösung der ASR A3.4/7 im März 2022 und deren Übernahme in die ASR A2.3 wurden die Begriffe „erster“ und „zweiter Fluchtweg“ neu definiert. Künftig gelten laut BMAS die Bezeichnungen „Hauptfluchtweg“ und „Nebenfluchtweg“. Bislang sind jedoch noch häufig die alten Begriffe gebräuchlich, weshalb der Beitrag auch im Folgenden diese Bezeichnungen weiternutzt.

Wann ist ein zweiter Flucht– und Rettungsweg erforderlich?

Ein zweiter Flucht– und Rettungsweg ist immer nötig, wenn kein zusätzlicher Sicherheitstreppenraum vorhanden ist, der vor dem Eindringen von Feuer und Rauch schützt und Teil des ersten Flucht– und Rettungsweges ist. Bei Hochhäusern, d. h. bei Gebäuden mit einer Höhe über 22 m, ist dieser Treppenraum eine häufig auftretende Alternative zum zweiten Flucht– und Rettungsweg. 

Wichtig ist allerdings, dass der Übergang von der Räumlichkeit zum Sicherheitstreppenraum offen, also draußen im Freien liegen muss. Sollte dies nicht der Fall sein, sondern die Fluchttreppe befindet sich innerhalb des Gebäudes, wird ein zusätzlicher Vorraum mit einer Rauchschutzdruckanlage (RDA-Anlage) benötigt.

Die folgende Übersicht zeigt, welche Bestandteile einen ersten bzw. zweiten Flucht– und Rettungsweg ausmachen:

Erster Fluchtweg Zweiter Fluchtweg
Verkehrswege Verkehrswege
Türen Türen
Flure und Treppen Flure und Treppen
Notausgänge Notausgänge und Notausstieg

Muss sowohl der erste als auch der zweite Flucht– und Rettungsweg die Kriterien der Flucht als auch der äußeren Hilfe aufweisen? Die Musterbauordnung (MBO) meint nein. Die Flucht bzw. Selbstrettung muss nur beim ersten Flucht– und Rettungsweg sichergestellt sein. Dies gilt aber nur, falls eine Fremdrettung innerhalb einer bestimmten Zeit überhaupt möglich ist.

Miteinbezogen werden müssen zudem folgende Faktoren:

  • Art des Gebäudes
  • Anzahl der zu rettenden Personen
  • Möglichkeit zur „Anleiterung“
  • Ausstattung und Leistungsfähigkeit der Feuerwehr

Gesetzliche Vorgaben für Gebäudebetreiber

Gesetzliche Vorgaben zu Einrichtung und Betrieb von Flucht- und Rettungswegen existieren sowohl im deutschen Bau- wie Arbeitsstättenrecht. Die Anforderungen an die Sicherstellung zweiter Flucht– und Rettungswege sind identisch zu den Anforderungen der Musterbauordnung (MBO), bzw. der Landesbauordnung, die in den unterschiedlichen Bundesländern jedoch unterschiedlich ausfallen.

Die wichtigsten und maßgeblichen Vorschriften für die Ausgestaltung des zweiten Flucht– und Rettungsweges sind:

a) Baurecht (Musterbauordnung MBO)

§ 14 MBO besagt, dass bei einem Brand die Rettung von Menschen möglich sein muss. Nach § 33 MBO gilt für Räumlichkeiten der gewerblichen Nutzung für einen Aufenthaltsraum das Vorhandensein mindestens zweier voneinander unabhängige Flucht– und Rettungswege ins Freie. Wobei die individuelle Größe der Räumlichkeiten hierbei irrelevant ist – es kommt alleine auf die Anzahl und Anordnung der sogenannten Nutzungseinheiten an.

b) Arbeitsschutzgesetz

Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) stellt den obersten Schutz der Arbeitnehmer dar, auch im Brandschutz. So gibt es an, dass der Arbeitgeber diejenigen Maßnahmen zu ergreifen hat, die zur Brandbekämpfung und ersten Hilfe der Beschäftigten erforderlich sind.

Die Ziele des ArbSchG werden durch Verordnungen wie der Arbeitsstättenverordnung oder der Betriebssicherheitsverordnung geregelt.

c) Technische Regeln

Für den zweiten Flucht– und Rettungsweg sind insbesondere folgende Technische Regeln wichtig:

Sowohl im Bau- als auch im Arbeitsstättenrecht müssen dieselben Anforderungen erfüllt werden. Neben den baurechtlichen Vorgaben müssen Arbeitgeber auch den Anforderungen ihrer Arbeitnehmer gerecht werden, z. B. barrierefreien Zugang gewährleisten.

d) DIN 14094: Notleiteranlagen

2017 wurden beide Teile der DIN 14094 überarbeitet und erneuert. In DIN 14094-1 werden ortsfest Notsteigleitern beschrieben, die ohne Rückenschutz, Haltevorrichtung und Podeste nicht mehr zulässig sind. Zusätzlich setzt die Norm die Anforderungen an Notsteigleitern aus Metall, deren Maße und Sicherheitsanforderungen fest. Sie regelt nicht, in welchen Fällen, sondern in welcher Ausführung Notleiteranlagen anzubringen sind.Der zweite überarbeitete Teil der Norm, DIN 14094-2 beschreibt die Anforderungen an Flucht– und Rettungswege auf Dächern.

Doch welche generellen Bedingungen müssen für Flucht– und Rettungswege erfüllt sein?

Allgemeine Anforderungen an Flucht– und Rettungswege

Neben dem bereits angesprochenen, im Freien endenden, Ausgangspunkt eines Flucht– und Rettungsweges, unterliegen Flucht– und Rettungswege weiteren Anforderungen. Dazu gehören insbesondere folgende Punkte:

• Kennzeichnung des zweiten Flucht–und Rettungswegs und anderer Elemente

Wege, Notausgangstüren, Rauch– oder Feuerschutztüren benötigen eine sicht– und lesbare Kennzeichnung. Seit 2012 gilt die international abgestimmte Sicherheitskennzeichnung nach ISO 7010. Die allgemeine Kennzeichnungspflicht und die Gestaltungsrichtlinien wurden dementsprechend in ASR A1.3 geändert: Im Gegensatz zur vorherigen, kombinierten Darstellung des stilisierten Menschen, einem Richtungspfeils und der Tür, muss nun eine klare visuelle Abgrenzung zwischen dargestelltem Notausgang und Pfeil erkennbar sein. 

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Die Auszeichnung des Flucht– und Rettungswegs soll auf einen Blick unkompliziert zeigen, wohin die Personen im Gefahrenfall fliehen. (Bild: © zephyr_P - stock.adobe.com)

• Länge und Breite des zweiten Flucht– und Rettungswegs

Die vorgeschriebene Mindestbreite eines Flucht– und Rettungsweges ergibt sich nach ASR A2.3, ganz gleich, ob erster oder zweiter, aus der Anzahl derjenigen Personen, die ihn im Gefahrenfall benutzen werden. So liegt die Vorgabe bei max. 5 Personen bei einer lichten Breite von mindestens 0,875 m. Je mehr Personen, desto breiter muss der Flucht– und Rettungsweg sein.

Bei der Länge gilt die generelle Regel: so kurz wie möglich. De facto darf der tatsächlich Laufweg nicht größer sein als das 1,5–fache des Fluchtwegs. Basierend auf der Raunutzung und Raumbeschaffenheit variiert die erlaubte Länge von maximal 10 m bis 35 m.

• Erstellen eines Fluchtplans

Ab einer bestimmten Unternehmensgröße muss je Stockwert mindestens ein geeigneter Fluchtplan ausgehängt sein, bzw. allgemeine Bekanntheit bei den Beschäftigten genießen. Auf was geachtet werden muss und unter welchen Gesichtspunkten die jeweiligen Fluchtpläne angefertigt werden, regelt u.a. die ASR A2.3.

 

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Vorgaben im baulichen Brandschutz

Um die oben genannten Vorschriften und Anforderungen im baulichen Brandschutz zu messen, wird jedes Gebäude in Nutzungseinheiten unterteilt. Als Nutzungseinheit gilt derjenige Bereich einzelner oder zusammenhängender Räume, der eine gemeinsame Nutzung durch denselben Nutzer oder eine Nutzergemeinschaft bewerkstelligt. Beispiele hierfür sind Wohnungen, Büros, Praxen oder Kanzleien.

Dabei lassen sich große Nutzungseinheiten auch in Teileinheiten unterteilen, die wiederum als einzelne Nutzungseinheiten betrachtet werden können. Dabei ist wichtig, dass nicht jeder Raum per se über einen zweiten Flucht– und Rettungsweg verfügen, sondern nur jeweils ein zweiter Flucht– und Rettungsweg pro Gebäudestockwerk vorhanden sein muss. Dies gilt nur, wenn die Nutzungseinheiten Aufenthaltsräume enthalten. Dementsprechend hat bei ebenerdiger Bebauung oder im Souterrain auch stets ein zweiter Flucht– und Rettungsweg vorhanden zu sein.

Hierbei gilt die Faustregel: Der zweite Flucht– und Rettungsweg muss unabhängig vom ersten Flucht– und Rettungsweg erreichbar sein und darf nicht gegenseitig gekreuzt oder überschnitten werden.

Zweiter Flucht– und Rettungsweg im Einfamilienhaus und anderen Wohneinheiten

In Wohngebäuden ist es zudem zulässig, dass der zweite Flucht– und Rettungsweg anhand von Rettungsgeräten der Feuerwehr bewerkstelligt wird. Grundannahme hierbei ist, dass nur mit einer bestimmten Anzahl an betroffenen Personen zu rechnen ist.

Üblicherweise dient ein Fenster, das nach § 37 MBO mindestens ein lichtes Maß von 0,9 x 1,2 m groß ist, als Anfangs– und Ausstiegspunkt. Gibt es Dielen, Dachaufbauten oder Dachschrägen, darf horizontal gemessen kein größerer Abstand als 1 m von der Traufkante bestehen.

Die vorgegebenen Maße können jedoch von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich ausfallen. So findet sich z. B. in Bayern ein abweichendes lichtes Maß der Fenstergröße:  0,6 m Breite und 0,9 m Höhe. In Baden-Württemberg ist bei der Höhe ein Spielraum von 10 cm (0,9 m) dann gegeben, wenn die zuständige Brandschutzdienststelle den uneingeschränkten Einsatz von Rettungsgeräten überprüft hat. Durch diese Spezifizierung müssen nur Fenster dieses Maßes zu Balkonen oder im Erdgeschoss angesiedelt sein, da ansonsten ggf. das Leitern oder Anbringen von Rettungswerkzeugen erschwert oder behindert werden könnte.

Checkliste für den zweiten Flucht– und Rettungsweg: Bauliche Regelungen

Die nachfolgende Checkliste unterstützt Bauplaner und andere Verantwortliche dabei, die wichtigsten baurechtlichen Vorgaben für zweite Flucht–und Rettungswege einzuhalten.

Die anleitbare Stelle ist von jedem Aufenthaltsraum einer (Teil-)Nutzungseinheit aus zugänglich und ist nicht in verschließbaren Räumen verortet.
→ Alternativ verfügt jeder Aufenthaltsraum über eine eigene anleitbare Stelle.
Das betreffende Fenster lässt sich stets leicht von innen und ohne Hilfsmittel öffnen.
Elektrische Rollläden können auch bei Stromausfall gesteuert werden.
Die anleitbare Stelle ist von außen durch die Feuerwehr erreichbar. Außerdem besitzt sie ausreichend Stellfläche im lokalen Umfeld, sodass eine reibungslose Aufstellung diverser Rettungswerkzeuge möglich ist.
Die zuständige Feuerwehr verfügt über das erforderliche Rettungsgerät.

 

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Zusätzlich sollte ein Brandschutzbeauftragter in Unternehmen ab einer bestimmten Mitarbeitergröße stets über die aktuellen Neuheiten und Regelveränderungen informiert und zuständig für die Pflege der Flucht– und Rettungswege sein. Hilfreiche Informationen für ihre tägliche Arbeit finden Brandschutzverantwortliche im gleichnamigen Praxismagazin „Der Brandschutzbeauftragte“. Damit bleiben sie stets auf dem aktuellen Stand im Brandschutz und erhalten regelmäßig Tipps sowie spannende Hintergrundinformationen zu wichtigen Brandschutzthemen im Betrieb.

 Quellen: „Der Brandschutzbeauftragte“, „Sicherheitshandbuch Brandschutz“, gesetze-bayern.de, BGHM: Fluchtwege

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