Barrierefreies Bauen: Was ist ein barrierefreies Objekt?

28.03.2024 | J. Morelli – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH

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Seit der Einführung der Norm DIN 18040 (Teile 1+2+3) „Barrierefreies Bauen“ in die Listen der Technischen Baubestimmungen ist eine ganzheitliche Planung von Gebäuden nur unter Berücksichtigung der barrierefreien Standards möglich. Damit soll neben Aspekten der Inklusion auch dem zunehmenden demografischen Wandel nachgekommen und nachhaltig gebaut werden. Um bei der Planung keinen wichtigen Planungsschritt zu vergessen, können Architekten auf diese Checkliste zurückgreifen.

Inhaltsverzeichnis

  1. Moderne Barrierefreiheit – was ist das eigentlich?
  2. Die Kernpunkte des barrierefreien Bauens
  3. Schritt für Schritt barrierefrei Bauen – eine Praxisanleitung
  4. Unterschied barrierefreier Bau und barrierefreie Vorrichtung in gebauter Umgebung
  5. Barrierefreier Umbau: Herausforderungen bei der Umsetzung
  6. Fazit: Förderung von barrierefreiem Bauen

Moderne Barrierefreiheit – was ist das eigentlich?

Laut Staatsbauverwaltung, der Bauministerien der Länder und der deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) ist ein Bauobjekt dann als barrierefrei im Sinne von barrierefreiem Bauen zu klassifizieren, wenn:

  • z. B. die Wohnung durch die betroffene Person und ohne fremde Hilfe sowie irgendeiner Art Einschränkung bewohnt werden kann.
  • Personen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen uneingeschränkt in Nutz- und Wohnräume verkehren können.

Barrierefreiheit umfasst aber nicht nur Gebäude oder öffentliche Anlagen, sondern auch den Arbeitsplatz, Verkehrsmittel und z. B. Dienstleistungen und Gebrauchsgegenstände. Dabei steht immer die Inklusion der Mitmenschen mit Einschränkungen im Mittelpunkt. Das wurde mit der EU-Richtlinie 2016/2102 bereits vor 6 Jahren noch um den barrierefreie Zugang zu Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen erweitert – Experten sprechen in diesem Zusammenhang häufig von moderner Barrierefreiheit.

Dreh- und Angelpunkt der Barrierefreiheit bleibt dennoch das barrierefreie Bauen, wenn es um die Gestaltung des alltäglichen Lebens geht. Egal ob in den eigenen vier Wänden, dem Arbeitsplatz oder in öffentlichen Gebäuden, allen Mitmenschen muss es ohne größere Einschränkung und fremde Hilfe möglich sein, ihren Alltag bestreiten zu können.

Die Kernpunkte des barrierefreien Bauens

Unter dem Slogan „Bauen für alle!“ hat sich der Bund dazu verpflichtet, barrierefreies Bauen in den Fokus zu nehmen. Damit soll die Novelle des Behindertengleichstellungsgesetzes (BGG) mit Fokus auf dem Bausektor umgesetzt werden.

Gebäude sind demnach so zu errichten, dass Menschen mit motorischen, visuellen, auditiven oder kognitiven Einschränkungen diese ohne fremde Hilfe benutzen bzw. bewohnen können. So gelten für das barrierefreie Bauen drei Planungsziele:

  • Leicht auffindbar
  • Gut zugänglich
  • Einfach nutzbar

→ Dies gilt nicht nur für Neubauten, sondern auch für den Bestand und Außenanlagen.

Das Nachschlagwerk Barrierefreies Bauen des BMWSB

Um die Planung und Umsetzung barrierefreien Bauens so reibungslos und einfach wie möglich zu gestalten, hat das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) ein informatives Nachschlagwerk entwickelt, das gleichzeitig vielfältige Handlungsempfehlungen enthält.

Das Ziel des Ganzen ist es, barrierefreies Bauen möglichst widerstandarm ablaufen lassen zu können. Das wird vor allem dadurch umgesetzt, dass Planern, Architekten und Bauleitern in jedem Abschnitt der Plan- und Bauphase Praxiswissen vermittelt und Umsetzungstipps bereitgestellt werden.

Bestehend aus folgenden Kapiteln ist das Nachschlagwerk Barrierefreies Bauen eine wichtige Unterstützung für Planer, aber auch für ausführende Gewerke:

  • Verschiedene Nutzungsbereiche des barrierefreien Bauens
  • Phasen der Planungsprozesse
  • Bestehende Grundlagen
  • Planungs- und Ausführungsprozesse
  • Kapitel Handlungsfelder
  • Anwendung beispielhaft an einem fiktiven Projekt

Ein großes Plus ist hierbei, dass das Nachschlagwerk vollständig digital abrufbar ist und somit auch unterwegs oder auf Baustellen zu Rate gezogen werden kann.

Nichtwohngebäude

Wohngebäude

Neubau

Neubau

Bestand

Bestand

  • Große Um- und Erweiterungsbauten
  • Kleine Um- und Erweiterungsbauten mit wesentlichen Veränderungen der baulichen Substanz
  • Kleine Um- und Erweiterungsbauten ohne Veränderungen der baulichen Substanz

 

 

Basierend auf dieser Erstbestandaufnahme können Gebäude anhand der Checkliste hinsichtlich ihrer Barrierefreiheit überprüft, geplant oder umgesetzt werden.

Barrierefreies Bauen: Schritt für Schritt planen mit dieser Checkliste  

Firma/Einrichtung  
Name des Prüfers  
Ort/Datum  
Prüffragen   Status   Anforderungen 
 1. Schritt     
Neubau oder Bestand 

Prüfung der Rechtsgrundlage und generellen Vorgehensweise
 2. Schritt     
Neubauten Festlegung der Zielgruppe bzw. der Nutzungsart des geplanten Gebäudes

 

Bestand

 □

Bestandsanalysen und Zielplanungen bzw. Machbarkeitsstudien (z. B. EW Bau siehe „Leitfaden Barrierefreies Bauen“ des BMUB 2016) zum Barrierefreien Bauen zu empfehlen

 3. Schritt     
Einordnung des baulichen Vorhabens nach Funktion und Gebäudeklasse entsprechend den rechtlichen Vorgaben für barrierefreies Bauen in der Landesbauordnung  □

Beachtung der Einteilung in den Landesbauordnungen
nach Gebäudeklassen (GK) oder Gebäudehöhen und nach Sonderbauten

 4. Schritt     

Rechtlichen Anforderungen an Barrierefreiheit und weiterer rechtlich bindender Vorgaben 

 □

Landesbauordnungen und dazugehörige Technische Regeln, Heimmindestbauverordnung,
Krankenhausbauverordnung, Gleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder, evtl. Anforderungen durch Förderrichtlinien der Länder bei Inanspruchnahme öffentlicher Fördermittel.

Bei Sonderbauten

  • Versammlungsstättenverordnung
  • Gaststättengesetz
  • Regeln für Beherbergungsstätten
  • Regeln für Verkaufs-/Sportstätten und Sporthallen
  • Arbeitsstättenverordnung
  • DIN Normen
  • VDI-Richtlinien (Verein Deutscher Ingenieure)
  • VDE-Bestimmungen (Verband Deutscher Elektrotechniker)
 5. Schritt     
Anordnung der Gebäude auf dem Grundstück, Anbindung an öffentliche Räume, Wege und Straßen  □
  • Landesbauordnungen
  • Bestimmung der Wegeführung, barrierefreier Zuwege, Parkplätze, Stellplätze und Garagen nach DIN 18040-3 (Freiraum)
  • Garagenverordnung
  • DIN 18034 Spielplätze und Freiräume zum Spielen
 6. Schritt     

Planung der äußeren Erschließung bei barrierefreiem Bauen:

  • stufenlose Gebäudezugänge
  • weitere horizontale und vertikale Erschließung
  • Terrassen, Gartenanlage, Park, Freisitze
□ 

Festlegen der Bewegungsflächen und vertikaler Erschließungsarten wie Rampen, Treppen, Aufzüge, Gangbreiten

  • DIN 18040-3 (Freiraum) und
    DIN 18040-1 (öffentliche Gebäude),
    DIN 18040-2 (Wohnungen)
  • Landesbauordnungen
  • Arbeitsstättenverordnung
  • Versammlungsstättenverordnung
  • Gaststättengesetz
 7. Schritt     

Planung der inneren Erschließung bei barrierefreiem Bauen entsprechend Gebäudeart:

  • Wohngebäude
  • Öffentliche Gebäude
 □
  • Flure: Breiten nach DIN 18040-1 (öffentliche Gebäude) und DIN 18040-2 (Wohnungen)
  • Treppen: DIN 18065
  • Aufzüge: DIN EN 81-70
  • Rettungswege: generell nach Landesbauordnung, zusätzlich Mehr-Sinne- Prinzip (akustische und optische Leitsysteme) beachten
  • Festlegen der Bewegungsflächen und der vertikalen Erschließungsarten nach DIN 18040-1 und 2
 8. Schritt     

Planung und Gestaltung der Räume und Wohnungen

 □
  • Rollstuhlnutzer: Grundmaße nach DIN 18040-2 R = 1,50 m x 1,50 m Bewegungsfläche, Durchgangsbreiten im Lichten: 0,90 m
  • Personen mit geringen Einschränkungen: Grundmaße nach DIN 18040-2 (Barrierefreie Wohnungen) = 1,20 m x 1,20 m Bewegungsfläche
  • Wohnungen: Wohnungsgröße und Bewegungsflächen gemäß Zielgruppe, sonst generell: DIN 18040-2
  • Öffentliche Gebäude: Breiten und Flächen nach DIN 18040-1 DIN 18032-1 Sporthallen – Hallen und Räume für Mehrzwecknutzung
 9. Schritt     
Sanitärräume  □ Öffentliche Gebäude: Flächenbedarf nach DIN 18040-1

Wohngebäude: gem. DIN 18040-2, höhenverstellbare Objekte für verschiedene Körpergrößen und Mobilitäten, Bewegungsflächen berücksichtigen

 10. Schritt     
 Küchen   □ Bewegungsflächen nach DIN 18040-2, höhenverstellbare Einrichtung für verschiedene Körpergrößen und Mobilitäten
 11. Schritt     
 Wohn- und Schlafräume  □ Bewegungs- und Abstandsflächen vor und seitlich an Möbeln, Betten, Fenstern, Bedienelementen
 12. Schritt     
 Gemeinschaftsräume sowie Infotheken/ Empfang  □

Einplanung von Höranlagen (induktiv, FM-Anlage, Infrarotanlage) bedenken

 13. Schritt     
Technische Ausstattung  □
  • Sanitärräume in Seniorenwohnungen (VDI 6000 Blatt 2, DIN 18017-3)
  • Schallschutz (DIN 4109, DIN 18041)
  • Elektrische Anlagen (DIN 18015-1/2, VDI 6008)
  • Licht und Beleuchtung (DIN 5035, BeleuchtÖffGebäudeRLErl HE und ND)
  • Orientierungshilfen und Beachtung des Mehr-Sinne-Prinzips (DIN Fachbericht 142 Orientierungssysteme, DIN 1450, DIN 124, DIN 32975)
  • Fußböden (BGR 181, GUV-I 8527)
 14. Schritt     
Einbeziehung von Experten  □ Behindertenbeauftragte, Verbände von besonderen Personengruppen, Sachverständige Barrierefreies Bauen
Datum, Unterschrift des Prüfers  

Unterschied barrierefreier Bau und barrierefreie Vorrichtung in gebauter Umgebung

Sowohl bei barrierefreiem Bauen als auch barrierefreien Vorrichtungen steht die Funktionalität an erster Stelle. Letztere beziehen sich jedoch ausschließlich auf eine barrierefreie und sichere Bewegung im Raum innerhalb von Gebäuden. Aber nur im Verbund der beiden entfaltet sich eine umfassende Unterstützung eingeschränkter Personen.

Als typische barrierefreie Vorrichtungen werden Bewegungsflächen für Personen mit Mobilitätshilfen oder gute Beleuchtung sowie angemessene Bedienhilfe, rutschhemmende Böden, Haltegriffe o. Ä. betrachtet.

→ Besonders wichtig ist eine angemessene Ausstattung von Sanitäranlagen, die möglichst lange für die Eigenständigkeit der Nutzer sorgen können.

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Vor allem im Bereich der Körperpflege wollen eingeschränkte Personen so lange wie möglich selbstständig bleiben. Mit teils einfachen Maßnahmen, wie Stütz-/Armlehnen kann bereits viel erreicht werden.
(© JeanPaul – stock.adobe.com)

Barrierefreie Räume

Wenn von barrierefreien Räumen die Rede ist, verschmelzen bauliche Eigenschaften und Gebäudeausstattung miteinander. Das Ganze lässt sich am Beispiel der visuellen, akustischen und auditiven Anforderungen deutlich machen: Beleuchtung durch Tageslicht aufgrund der Fenster- und Raumkonzeption in Einklang mit strategisch treffend verteilter elektrischen Raumbeleuchtung, gute räumliche Akustik mit wenig baulichen Hindernissen unterstützt durch Hörunterstützungsanlagen sowie visueller Kontrast zwischen einzelnen Bauelementen (Wänden, Böden, Türen) mit zusätzlichen visuellen Modifikationen, um räumliche Schlüsselelemente besser unterscheiden zu können.

Barrierefreier Umbau: Herausforderungen bei der Umsetzung

Trotz der offensichtlichen Vorteile stehen bei der Umsetzung von barrierefreien Umbaumaßnahmen zahlreiche Herausforderungen im Raum. Dazu gehören unter anderem hohe Kosten, rechtliche Rahmenbedingungen und ein Mangel an Fachkenntnissen. 

Lösungen und Best Practices

  • Finanzielle Förderung: Eine der größten Hürden für den barrierefreien Umbau sind die Kosten. Glücklicherweise gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Förderprogrammen und finanziellen Unterstützungen, die von staatlicher Seite, aber auch von privaten Stiftungen angeboten werden.
  • Technologische Innovationen: Die rasante Entwicklung im Bereich der Technologie bietet innovative Lösungen, die den barrierefreien Umbau effizienter und effektiver machen. Von automatischen Türöffnern über sprachgesteuerte Haussysteme bis hin zu bodengleichen Duschen – die Möglichkeiten sind vielfältig und bieten individuelle Anpassungsoptionen für nahezu jede Einschränkung.
  • Vernetzung und Beratung: Eine enge Zusammenarbeit zwischen Betroffenen, Planern, Behörden und Förderstellen kann den Prozess des barrierefreien Umbaus erheblich erleichtern. Beratungsstellen und Interessenverbände bieten hierbei Unterstützung und können wertvolle Tipps für die Planung und Durchführung von Umbaumaßnahmen geben.

Fazit: Förderung von barrierefreiem Bauen

Von je her hatte Architektur auch die Funktion auszuschließen. Wärme, Kälte, Lärm oder unerwünschte Besucher werden durch Wände, Türen und Dachkonstruktionen vor dem Eindringen in private und öffentliche Räume abgehalten. Hinzukam, dass der Fokus bei Nutzbauten auf deren Nutzung lag, aber nicht auf der Benutzbarkeit von Allen. Genau an dieser Stelle greift das novellierte Behindertengleichstellungsgesetz ein und versucht die Inklusion eingeschränkter Personen zu fördern.

Das hat zur Folge, dass großflächige Sanierungsmaßnahmen im Bestand durchgeführt werden müssen, um barrierefreies Bauem umzusetzen – was wiederum hohe Kosten nach sich zieht. Um dies abzufedern, können sowohl KfW-Förderprogramme als auch staatliche Investitionszuschussprogramme genutzt werden. Auf Länderebene gibt es z. B. in Bayern ein leistungsfreies Baudarlehen zur „behindertengerechten Anpassung von bestehendem Eigen- und Mietraum“ von bis zu 10.000 Euro.

Zusätzlich kann, wenn eine Pflegestufe vorliegt, bei der Pflegekasse ein Zuschuss für „Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes“ beantragt werden. Der maximale Förderbetrag beträgt hierbei 4.000 Euro.

Laut Bund und Ländern ist barrierefreies Bauen nicht nur ein Gegenwartsprojekt, sondern wird aufgrund des demografischen Wandels auch in den nächsten Jahrzehnten immer brisanter. Somit kann davon ausgegangen werden, dass es in den kommenden Jahren zu weiteren Verordnungen und Regelungen für barrierefreies Bauen kommen wird.

Quelle: „Barrierefreie Bau- und Wohnkonzepte“www.stmb.bayern.de

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