Rettungsaufzug nach VDI 6017 als Rettungsweg und Evakuierungsaufzug
08.06.2020 | JS – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH
Für Menschen mit Gehbehinderung ist der Rettungsaufzug bzw. Evakuierungsaufzug oft der einzige Weg, sich im Brandfall selbst retten zu können. Und obwohl die Möglichkeit zur Eigenrettung nach dem Grundsatz der Barrierefreiheit der beste Brandschutz für alle Menschen ist, wird dieser Aspekt in den meisten Bauordnungen und im Baurecht vernachlässigt. Dabei zeigt die VDI 6017 Planern und Betreibern von Gebäuden, wann und wie Aufzüge im Brandfall weiter betrieben werden können.
Rettungsaufzug: Definition
Der Begriff Rettungsaufzug ist ein Oberbegriff für alle Aufzüge, die einen gleichwertigen Rettungsweg für die Barrierefreiheit herstellen. Es wird nicht mehr zwischen Sicherheitsaufzug, Evakuierungsaufzug nach VDI 6017 oder einer anderen Art von Aufzugsanlagen unterschieden. Ein Rettungsaufzug hat auch keine besonderen Maße. Es handelt sich um einen herkömmlichen Aufzug mit den hierfür vorgeschriebenen Maßen. Signifikant für einen Rettungsaufzug ist, dass dessen Betriebszeiten in einem Brandfall verlängert wird.
Barrierefreier Rettungsweg muss Eigenrettung ermöglichen
Im Zusammenhang mit der Barrierefreiheit und dem Brandschutz werden zwei Arten von barrierefreien Rettungswegen unterschieden: der erste barrierefreie Rettungsweg dient immer der Selbstrettung. Der zweite Rettungsweg gestattet ausnahmsweise die Rettung mit fremder Hilfe. Zumindest in Bestandsgebäuden wird der zweite Rettungsweg toleriert, impliziert aber, dass eine Person mit (Geh-)Behinderung auf eine Fremdrettung angewiesen ist. Bei Neubauten sollten Planer jedoch einen zweiten barrierefreien Rettungsweg vorsehen, der behinderten Menschen eine Selbstrettung ermöglicht. Deshalb rücken Rettungsaufzüge in den Fokus.
Bisher ist die Hessische Bauordnung jedoch die einzige Bauordnung der Bundesländer, die diese Forderung klar aufstellt und damit den Grundsatz des Grundgesetzes erfüllt: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ – auch bei Rettungswegen. Weil alle anderen Bauordnungen zu diesem Thema schweigen, enthält auch das Baurecht keine entsprechenden Vorgaben.
Geregelt ist bisher nur, dass im Sinne des Brandschutzes sogenannte „sichere Bereiche“ für den Zwischenaufenthalt einzurichten sind. Also Bereiche, in denen sich eine Person mit Gehbehinderung sicher aufhalten kann, bis eine Fremdrettung durch Evakuierungshelfer oder auch die Feuerwehr erfolgen kann. Weil das dem Grundsatz der Barrierefreiheit widerspricht, sollten Planer von Neubauten Aufzüge als barrierefreie Flucht- und Rettungswege auch ohne eindeutige rechtliche Grundlage in Betracht ziehen.
Rettungsaufzüge und Evakuierungsaufzüge nach VDI 6017
Nicht nur Planer müssen das Thema Rettungsaufzüge als barrierefreien Rettungsweg auf dem Schirm haben. Denn der Gebäudebetreiber ist dafür verantwortlich, dass die Räumung eines Gebäudes gewährleistet werden kann – indem er z. B. Evakuierungshelfer benennt. Gerade bei der Räumung eines Hochhauses sind diese essenziell, um das Verlassen des brennenden Gebäudes zu koordinieren. Die mögliche Rettung durch Feuerwehr oder den Rettungsdienst nimmt ihm diese Verantwortung nicht ab.
Eine weitere Lösung zeigt die VDI-Richtlinie 6017 „Aufzüge – Steuerungen für den Brandfall“, die die Anforderungen an Standardaufzüge, Evakuierungsaufzüge und Feuerwehraufzüge definiert. Gebäudebetreiber, Planer, Errichter, Sicherheitsorganisationen sowie zuständige Behörden erfahren in der VDI 6017, welche Brandereignisse unkritisch sind und unter welchen Voraussetzungen Aufzüge trotz einer ersten Brandmeldung weiter betrieben werden können, um als barrierefreier Flucht- und Rettungsweg zur Verfügung zu stehen. Denn für die Installation eines Rettungsaufzugs ist die Unterscheidung zwischen kritischen und unkritischen Brandereignissen.
Betriebszeiten von Aufzugsanlagen – Stufenmodell nach VDI 6017
Die VDI 6017 differenziert für die verlängerte Betriebszeit von Aufzugsanlagen unterschiedliche Stufen, wobei Rettungsaufzüge und Evakuierungsaufzüge in die Stufen B und C fallen:
Stufe A – StandardaufzugWird eine Brandmeldeanlage ausgelöst, wird der Aufzug durch eine Brandfallsteuerung in eine Bestimmungshaltestelle gesendet und dort stillgesetzt. Solche Aufzuganlagen sind mit einem „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“-Schild gekennzeichnet. |
|
Bildquelle: © Zahra Bagherzadegan – stock.adobe.com |
Stufe B – Sicherheitsaufzug
Sicherheitsaufzüge werden bei einem kritischen Brandereignis begrenzt weiterbetrieben und stellen somit für Personen mit Gehbehinderung einen barrierefreien Rettungsweg dar. Die VDI 6017 beschreibt Maßnahmen, durch die der Funktionserhalt trotz Meldung der Brandmeldeanlage gewährleistet wird:
- Die Stromzufuhr zur Aufzugsanlage vom Hauptschalter des Gebäudes abzweigen und die Zuleitung brandschutzgeschützt ausführen.
- Vor den Aufzugstüren rauchgeschützte Wartezonen vorsehen.
- Schutz vor Löschwasser installieren.
Voraussetzung für den Weiterbetrieb des Sicherheitsaufzugs ist, dass
- eine Brandmeldeanlage mit Aufschaltung vorhanden ist, bei der das kritische Brandereignis definiert ist.
- die Vorräume des Aufzugs mit Brandschutztüren ausgestattet sind.
- der Sicherheitsaufzug bei einem kritischen Brandereignis durch die Brandmeldeanlage abgeschaltet wird. Das muss in jedem Stockwerk für jeden möglichen Nutzer erkenntlich gemacht werden.
Stufe C – Evakuierungsaufzug
Hinsichtlich Evakuierungsaufzüge beschreibt die VDI 6017 in Stufe C weiterführend ein Konzept, mit dem Gebäude mittels Aufzug evakuiert werden können. Die Anforderungen an Evakuierungsaufzüge sind jedoch nicht Gegenstand der VDI 6017, sondern künftig in der DIN EN 81-76 „Personenaufzüge für die Evakuierung von Personen mit Behinderung“ zu finden.
Im neuen Entwurf der DIN EN 81-76, der im Dezember 2019 vorgelegt wurde, wurden drei Betriebsarten für den europäischen Evakuierungsaufzug eingeführt:
- neuer automatischer Betrieb als Selbstfahrer
- neuer Fernbetrieb (fernunterstützter Evakuierungsbetrieb unter Leitung des Gebäudemanagements mit Audio-Kommunikation und Video-Überwachung)
- fahrerunterstützter Evakuierungsbetrieb (geschulter Evakuierungsassistent als Aufzugführer mit weiteren Evakuierungshelfern wie bisher in der DIN CEN TS 81-76 SPEC beschrieben)
Stufe D – Feuerwehraufzug
Die Stufe D der VDI 6017 beschreibt schließlich, wie Aufzüge für den Einsatz der Feuerwehr genutzt werden. Jedoch sind Feuerwehraufzüge nicht Gegenstand der VDI 6017, sondern wie Evakuierungsaufzüge in der DIN EN 81-72 angesiedelt.
Wo Rettungsaufzug anordnen?
Die Anordnung des Rettungsaufzugs im Treppenraum ist zu bevorzugen. So entstehen einheitlich zu kennzeichnende Rettungswege (Inklusion bei den Rettungswegen). Im Treppenraum wird der Rettungsaufzug dann im gemeinsamen Luftraum mit der Treppe betrieben. Dafür sind ausreichende Lüftungsöffnungen zwischen dem Auszugsschacht und dem Treppenraum erforderlich.
Ein Rettungsaufzug kann aber auch ohne Treppenraum angesetzt werden, wenn er beispielsweise nur über eine Verbindung im Freien zu erreichen ist. Rettungsaufzüge, die über das Freie vom Gebäude abgekoppelt sind, benötigen keine Rauch-/Wärmeabzugsanlage im Schacht. Sie müssen aber weiterhin aus nicht-brennbaren Baustoffen bestehen.
Das Wartepodest vor dem Aufzug muss sich im sicheren Bereich befinden, sodass kein zusätzlicher Aufzugvorraum geschaffen werden muss. Ohne diesen sicheren Wartebereich ist ein Weiterbetrieb nicht möglich. Der Rauchschutz bis zum Ende der Räumung ist hier maßgebendes Kriterium. Entsprechende Einrichtungen zur Rauchfreihaltung müssen so angeordnet sein, dass auch Rollstuhlfahrer diese erreichen können.
Wie werden Rettungsaufzüge gekennzeichnet?
Im Dezember 2018 hat die Internationale Organisation für Normung (ISO) barrierefreie Rettungswegzeichen genormt (Zeichen E 026 und E 030). An einer genormten Kennzeichnung für den Rettungsaufzug („Evacuation-Lift“) wird derzeit aber noch gearbeitet. Fest steht aber: Beim Rettungsaufzug muss das Schild „Aufzug im Brandfall nicht benutzen“ entfallen. An dessen Stelle ist eine Kennzeichnung wie auf dem Bild rechts notwendig. | Bildquelle: M.Schwarz |
Quelle: „Barrierefreie Bau- und Wohnkonzepte“