Autismus Kindergarten: Symptome, Beobachtungsbogen und Möglichkeiten zur Förderung

16.05.2024 | T. Reddel – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH

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Autismus ist eine angeborene, tiefgreifende Beziehungs- und Kommunikationsstörung. Sie zeigt sich i. d. R. bis zum dritten Lebensjahr, weshalb bereits im Kindergarten besondere Fördermaßnahmen nötig sind, um ein betroffenes Kind erfolgreich in die Gruppe zu integrieren. Doch welche konkreten Möglichkeiten gibt es, den Umgang mit Autismus im Kindergarten zu erleichtern und wie erkennen pädagogische Fachkräfte, ob ein Kind von Autismus betroffen ist?

 

Inhaltsverzeichnis

  1. Symptome: Wie verhalten sich autistische Kinder im Kindergarten?
  2. Beobachtungsbogen unterstützt Inklusion
  3. Wie fördere ich ein autistisches Kind im Kindergarten?
  4. Fazit: Integration von autistischen Kindern im Kindergarten

Symptome: Wie verhalten sich autistische Kinder im Kindergarten?

Wie bei den meisten Kommunikations- oder Beziehungsstörungen muss das Fachpersonal entsprechend geschult sein, um zu diagnostizieren, ob ein Kind unter Autismus leidet. Erzieherinnen und Erzieher sind häufig die ersten, die ein solch auffälliges Verhalten der Kinder bemerken. In diesem Fall sollten sie im Rahmen der Elternarbeit das Gespräch mit den Erziehugsberechtigten suchen und eine weitere Abklärung anregen.

Um ein solch abweichendes Verhalten bei Kindern einordnen zu können, sollten Erzieherinnen und Erzieher die häufigsten Symptome von Autismus kennen. So können sie das Kind bestmöglich in die Gruppe inkludieren.

Generell zeichnet sich Autismus durch diese drei Symptome aus:

  • Störung in der sozialen Interaktion
  • Störung in der Kommunikation
  • Stereotypische Verhaltensmuster

Genauer sind folgende Autismus-Symptome bzw. Anzeichen typisch:

  • Dem Kind fallen der soziale Kontakt mit anderen und angemessenes Verhalten schwer, zwischenmenschliche Beziehungen lassen sich schwieriger aufbauen.
  • Es versteht Verhalten und Gefühlsäußerungen anderer Menschen nicht und kann Körpersprache nicht korrekt lesen.
  • Es kommt zu Sprachstörungen wie Mutismus oder anderen Schwierigkeiten bei der sprachlichen/nonverbalen Kommunikation.
  • Das Kind entwickelt eigene, stereotypische Verhaltensweisen.
    → Bei Veränderungen reagiert das Kind panisch und bekommt Angst.
  • Das Kind nimmt Reize aus der Umwelt auf, kann sie aber nicht korrekt einordnen und koordinieren.
  • Der Tastsinn ist überempfindlich, daher wird Körperkontakt zu Mitmenschen vermieden. Auch andere Sinne können übermäßig stark ausgeprägt sein.
  • Die intellektuelle Begabung erstreckt sich von geistiger Behinderung bis hin zu durchschnittlich hoher Ausprägung.
  • Das Kind beschäftigt sich mit einem Thema außergewöhnlich oft und intensiv. Dort kann es herausragende Leistungen bzgl. Intelligenz, Gedächtnisleistung, Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit erbringen (sog. „Inselbegabung“).
    → Typisch sind kreative Felder wie Musik oder Malerei.

Hinweis: Nicht jedes Kind, dass von Autismus betroffen ist, weißt alle o. g. Symptome auf. Vielmehr kann sich die Störung je nach Fall sehr unterschiedlich äußern, was eine eindeutige Diagnose erschweren kann.

Darüber hinaus unterscheidet das Klassifikationssystem ICD-10 drei Formen von Autismus.

Arten von Autismus

Bei den folgenden Formen kann es zu fließenden Übergängen und Mischformen kommen. Daher sprechen Expertinnen und Experten mittlerweile häufig von „Autismus-Spektrums-Störungen“.

Art von Autismus Merkmale
Frühkindlicher Autismus (Kanner-Syndrom)
  • Beginnt bereits häufig vor dem dritten Lebensjahr, erste Auffälligkeiten oft in den ersten Lebensmonaten.
  • Gilt als schwerwiegende Behinderung und kommt oft in Verbindung mit einer geistigen Behinderung vor.
  • Häufige Kombination mit Phobien, Ess- oder Schlafstörungen, Sprachauffälligkeiten etc. Sprachentwicklung bleibt teilweise ganz aus.
  • Betroffene kapseln sich von anderen Menschen ab, auch von den eigenen Eltern. Das Verhältnis zu den engsten Vertrauenspersonen ist gestört.
  • Es lassen sich nur sehr schwer menschliche Beziehungen aufbauen.
Asperger-Syndrom
  • = weniger stark ausgeprägte Form des Autismus.
  • Verbale Äußerungen anderer werden weder korrekt gedeutet noch adäquat erwidert. Besonders das nonverbale Kommunikationsverhalten ist gestört.
    → Soziale Regeln werden nicht intuitiv verstanden.
  • Es werden nur selten bis nie Beziehungen zu gleichaltrigen Kindern/Erwachsenen geknüpft.
    → Integrationsschwierigkeiten
  • Es scheint, als sei für Betroffene die Reaktion auf eigene Leistungen irrelevant. Sie fordern keine Zuwendung von anderen.
  • Stärken von Asperger-Betroffenen sind die Selbstwahrnehmung, Beobachtung und Gedächtnisleistung.
  • In der neugefassten ICD-11 wird Asperger nicht mehr als Unterform des Autismus definiert.
Atypischer/hochfunktionaler Autismus
  • Ist gegeben, wenn das Verhalten eines Kindes in das allgemeine Muster von Autismus passt, jedoch nicht die Kriterien der o. g. Formen erfüllt.
    → Alter passt nicht oder die drei grundlegenden Merkmale sind nicht erfüllt.
  • Scheinbarer Wechsel zwischen frühkindlichem Autismus und Asperger.
  • Betroffene können unter verzögerter Sprachentwicklung leiden, verstehen jedoch auch das Gesagte nicht wirklich.
  • Kindliche Entwicklung erscheint anfangs wie gewohnt, im Kindergarten werden jedoch Auffälligkeiten beim Zugehen auf andere Personen auffällig.
  • Wird durch seine Sonderform oftmals lange nicht diagnostiziert.

In der Neufassung ICD-11 wird nicht mehr zwischen Asperger-Syndrom und atypischem Autismus unterschieden. Stattdessen werden sie als Autismus-Spektrums-Störungen zusammengefasst.

Falls der Verdacht auf Autismus bei einem Kind besteht, kann es hilfreich sein, das Kind zunächst etwas genauer zu beobachten. Wie verhält es sich in gewissen Situationen? Wie geht es mit anderen Kindern um? All diese Aspekte können in einem Beobachtungsbogen festgehalten werden.

Beobachtungsbogen unterstützt Inklusion

Mit Beobachtungsbögen lassen sich Verhaltensweisen und Fertigkeiten von Kindern untersuchen. Die folgende Vorlage zeigt, wie ein solcher Bogen aussehen kann. Anhand einer fünfstufigen Skala lassen sich die Fähigkeiten und das Verhalten eines Kindes in verschiedenen Bereichen analysieren.

Beobachtungsboden Autismus Kindergarten
Name, Vorname des Kindes: Alter des Kindes:
Ausgefüllt von: Ausgefüllt am:

 

  + + + Ο – –
Soziale Entwicklung
Mitteilungsverhalten          
Kontaktfähigkeit          
Selbstständigkeit          
Verhältnis zu Erzieherinnen  und Erziehern          
Anmerkungen:


Sprachentwicklung
Sprachverständnis          
Aussprache          
Wortschatz          
Anmerkungen:

     
Kognitive Entwicklung
Konzentration          
Frustrationstoleranz           
Handlungsabläufe          
Anmerkungen:

     
Wahrnehmung     
Körperkontakt          
Raumorientierung          
Optische Differenzierung          
Akustische Differenzierung          
Anmerkungen:


Kreativität
Musikalisches Verständnis          
Malen und Basteln          
Anmerkungen:


Gesamteindruck
Ablösung von der Bezugsperson          
Integration in die Gruppe          
Anmerkungen:


Die Erkenntnisse aus dem Formular können dabei helfen, herauszufinden, ob ein Kindergartenkind eventuell an Autismus erkrankt ist. Für eine finale Diagnose müssen die Erzieherinnen und Erzieher jedoch immer mit den Eltern und einem Facharzt bzw. einer Fachärztin Rücksprache halten. Dennoch kann ein entsprechender Beobachtungsbogen als Grundlage dienen, um besonderen Förderbedarf zu ermöglichen.

Nun bleibt noch die Frage, wie der fachgerechte Umgang mit autistischen Kindern im Kindergarten konkret aussieht. Dazu gibt es nachfolgend einige Anregungen.

Wie fördere ich ein autistisches Kind im Kindergarten?

Autistische Kinder benötigen besondere Zuwendung und Unterstützung. Mit einer bedarfsgerechten Förderung können sie erfolgreich in die Kindergartengruppe integriert werden. Hierbei sollten die pädagogischen Fachkräfte jedoch einige Punkte beachten.

Auf die Eltern zugehen und Bestandsanalyse durchführen

Da eine Autismus-Diagnose für viele Eltern zunächst wie ein Schock wirken kann, liegt es in der Hand der Erzieherinnen und Erzieher, das Kind von Anfang an bedarfsgerecht zu fördern. Sind die Eltern stark gestresst, belastet oder überfordert mit der Situation, kann das die Symptome des Kindes noch verstärken.

Um dem entgegen zu wirken, sollte die Einrichtung zunächst analysieren, welche typischen Verhaltensweisen das Kind an den Tag legt. Wie schon beschrieben, sind Beständigkeit und Routinen besonders wichtig für autistische Kinder. Für die Untersuchung kann z. B. ein entsprechender Beobachtungsbogen genutzt werden. Auf dessen Grundlage lässt sich anschließend ein individueller Förderplan anfertigen.


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Mithilfe der erstellen Unterlagen können die Erzieherinnen und Erzieher ihre Arbeit im Kindergarten bedarfsgerecht an das autistische Kind anpassen.

Umgebung anpassen

Da bestimmte Sinneswahrnehmungen von Autistinnen und Autisten stärker ausgeprägt sind, reagieren sie auf einige Reize wie grelle Farben oder Licht ggf. empfindlicher. Deshalb kann es helfen, die Umgebung im Kindergarten ein wenig anzupassen, etwa mit folgenden Maßnahmen:

  •  Anstatt Neonlampen weiches, gedämmtes Licht nutzen.
  • Tageslicht blendet autistische Kinder oft.
    → Verdunklungsvorhänge an den Fenstern befestigen.
  • Bei der Zimmergestaltung warme, gedeckte Farben nutzen; Tapeten ohne unruhige Muster.
  • Alle Möbel so aufstellen, dass sich die Kinder möglichst nirgends anstoßen kann.
  • Insgesamt lieber weniger als mehr Möbel und Gegenstände im Raum verteilen.
  • Schallschluckende Teppiche nutzen, um die Konzentrationsfähigkeit zu fördern.
  • Keine stark riechenden Seifen, Waschmittel etc. nutzen.

Zur Umgebungsgestaltung gehören jedoch nicht nur sensorische Faktoren. Auch die Einstellung und der Umgang mit anderen Kindern aus der Gruppe ist wichtig für die Inklusion. Daher sollten die Erzieherinnen und Erzieher den übrigen Kindern erklären, dass das autistische Kind einige besondere Bedürfnisse hat. Das schafft Verständnis bei den Gleichaltrigen und erleichtert dem autistischen Kind den Alltag.

Alltag im Kindergarten gestalten

Auch im Kindergartenalltag gibt es verschiedene Möglichkeiten, entsprechende Fördermaßnahmen einzubauen. Vorab sollte ein konkreter Tagesablaufplan erstellt werden, der dem autistischen Kind die nötige Struktur gibt. Bei der Gestaltung des Plans sollte das Kind mit einbezogen werden. Pflichten und angenehme Dinge sollten sich im Optimalfall abwechseln. Ebenso sollte das Kind lernen, den Plan selbstständig zu nutzen.

Außerdem sollten Erzieherinnen und Erzieher auf folgende Faktoren achten, wenn sie in ihrer Einrichtung ein autistisches Kind betreuen:

  • Da die Sensoren autistischer Kinder anders funktionieren, empfinden sie Berührungen häufig als sehr unangenehm.
    → Nur vorsichtig Körperkontakt mit dem Kind aufnehmen.
  • Das Kind warnen, bevor laute Geräusche erzeugt werden (z. B. durch Staubsauger, Radio). Ebenfalls warnen, wenn Besuch ansteht oder eine Veranstaltung stattfinden soll.
  • Bei Verletzungen darauf achten, dass Kinder mit Autismus ein verringertes Schmerzempfinden haben können.
    → Prüfen, dass keine ernsteren Erkrankungen/Verletzungen übersehen werden.
  • Für einen festen Tagesablauf z. B. ein fixes Abschiedsritual mit den Eltern bei der Ankunft in den Kindergarten einführen.
  • Beständigkeit auch in der Gruppe sicherstellen, beispielsweise, indem das autistische Kind einen festen Sitzplatz zum Essen bekommt.

Über den Kindergarten hinaus gibt es bestimmte Förderbereiche, die autistischen Kindern ebenfalls helfen können. Die nachfolgende Übersicht gibt einen Einblick.

Förderbereich Fördermaßnahmen
Sprachförderung
  • Allgemeines Ziel bei Autismus: Sprachfähigkeiten des Kindes ausbauen.
  • Sprache mit Körperkontakt verbinden.
    → Erleichtert Lernen von Begriffen und Akzeptanz sowie Zuordnung von Körperkontakt.
  • Bilderbücher als visuelle Hilfe nutzen.
  • Für Interkation mit Gleichaltrigen sorgen, da die Kinder hier deutlicher kommunizieren müssen, was sie wollen, als im Kontakt mit Erwachsenen.
  • Eigene Stimme des Kindes aufnehmen und so dessen Sprachfähigkeiten trainieren.
Verhaltenstherapie
  • Positive Verstärkung: Erlerntes Verhalten belohnen.
  • Spiel- und Alltagssituationen üben und stetig wiederholen.
  • Umgang mit Ärger und Wut kontrolliert beibringen, um die eigene Handlungsfähigkeit des Kindes zu fördern.
    → Autoaggression, Stereotypien und unangemessenes Verhalten werden abgebaut.
Tiertherapie
  • Delfin-Therapie kann helfen, da diese Tiere sehr sensibel auf Kinder eingehen.
  • Therapeutisches Reiten schult:
    • eigene Körperwahrnehmung
    • Muskelstimulation
    • Gleichgewichtssinn
    • Grob- und Feinmotorik

Fortbildung der Erzieherinnen und Erzieher

Wichtiger Faktor für die Integration von autistischen Kindern im Kindergarten ist die Ausbildung der pädagogischen Fachkräfte. Sie sollten sich in regelmäßigen Abständen zu besonderem Förderbedarf wie Autismus oder anderen geistigen Störungen bei Kindern fortbilden. So stellen sie sicher, dass sie jederzeit in der Lage sind, hilfsbedürftigen Kindern die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen.

Fazit: So gelingt die Integration von autistischen Kindern im Kindergarten

Autismus kann bereits im Kleinkindalter sichtbar werden, weshalb die meisten autistischen Kinder im Kindergarten auf einige Hürden stoßen. Sie benötigen zusätzliche Unterstützung, sowohl von den Eltern, als auch von den Erzieherinnen und Erziehern. Im Kindergarten ist es wichtig, dem Kind einen festen Tagesablauf zu ermöglichen und die anderen Kinder für die besonderen Bedürfnisse des bzw. der Autistin zu sensibilisieren. Das schafft eine vertraute und respektvolle Kultur in der Gruppe.

Produktempfehlung

Gleichzeitig sollte das autistische Kind regelmäßig Maßnahmen zu Sprachförderung, sozialer Integration und anderen Bereichen erhalten. Wie das gelingt, zeigen die einsatzfertige Vorlagen aus der Software „Besondere Kinder“. Mit praktischen Textbausteinen sorgen pädagogische Fachkräfte für einen souveränen Umgang mit Autismus oder anderen Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten.

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Quelle: „Besondere Kinder“