Interkulturelle Pädagogik: Methoden und Konzepte des interkulturellen Lernens in Schule und Kindergarten

04.06.2019 | JS – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH

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Interkulturelle Pädagogik ist ein pädagogisches Prinzip, das es Kindern ermöglicht, multikulturelles Denken zu entwickeln, um in einer heterogenen Gesellschaft in gegenseitiger Anerkennung zu leben. Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer sollten den interkulturellen Ansatz konstant in den Kita- bzw. Schulalltag integrieren, sich aber auch persönlich mit Themen wie Trauma auseinandersetzen.

Warum gibt es interkulturelle Pädagogik im Kindergarten und in der Schule? 

Wenn Kinder und Jugendliche nach Deutschland einwandern, befinden sie sich plötzlich in einer neuen Gesellschaft, die sie nicht kennen und in der sie erst einmal ihren Platz finden müssen. Zum Zeitpunkt ihrer Ankunft beherrschen sie meist nur ihre Muttersprache, mit der sie allerdings in Kindergarten und Schule nicht weiterkommen, weil die anderen Kinder und Jugendlichen sie nicht verstehen. 

Auf der anderen Seite stehen ihnen die Kinder, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, gegenüber. Diese begegnen ihrerseits einem Kind mit anderer Sprache und Kultur. Beide Seiten können nun mittels interkultureller Pädagogik das Prinzip der Gleichheit und der Anerkennung kennenlernen, um auf eine heterogene Gesellschaft vorbereitet zu sein. 

Damit interkulturelle Pädagogik gelingt, gibt es vielseitige Konzepte sowie Methoden, die Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer umsetzen können. Zugleich müssen sich die Pädagogen über ihre eigenen Gedanken und Gefühle im Klaren sein und ehrlich reflektieren, wie sie mit den neuen Kindern, ihren Familien und damit verbundenen Herausforderungen umgehen bzw. welchen Gefühlen sie dabei begegnen.

Pädagogische Konzepte zum Umgang mit verschiedenen Kulturen im Kindergarten

Im Kindergarten können Erzieherinnen und Erzieher spielerisch den Umgang mit anderen Kulturen thematisieren, indem sie multikulturelle Spielzeuge und Räume bewusst hinzufügen oder weglassen:

Spielzeuge zum Erleben anderer Ethnizitäten  

Streng genommen, spiegelt sich das Thema Diskriminierung bereits bei der Auswahl von Spielzeugen und der Leselektüre wider. Denn sowohl die meisten Puppen als auch die Akteure in Bilderbüchern demonstrieren den Typus des hellhäutigen Europäers, der westliche Kleidung trägt und so handelt, wie es in diesem kulturellen Kontext üblich ist. 

Daran ist im Grunde auch nichts Verwerfliches, denn anhand von Spielzeug und Büchern lernen Kinder ihre Lebenswelt kennen. Um dem Ansatz der interkulturellen Pädagogik zu folgen, wäre es dennoch empfehlenswert, im Kindergarten auf Diversität zu achten:

  • Puppen sollten unterschiedliche Haar- und Hautfarben sowie Gesichtsmerkmale haben. 
  • Auch die Puppenkleidung sollte unterschiedliche Kulturen widerspiegeln. Wichtig dabei ist, heutige landestypische Kleidung auszuwählen und nicht klischeehafte, denn das würde eher das Denken in Stereotypen stärken. 
  • In der Spielecke können Alltagsgegenstände aus fremden Ländern ausgelegt werden. Da diese größtenteils nicht in Deutschland erhältlich sind, können Erzieherinnen und Erzieher auf die Eltern zugehen, die vielleicht einen Gegenstand beisteuern können. 
  • Eine Weltkarte kann im Gruppenraum angebracht werden, auf der eingezeichnet ist, welches Kind aus welchem Land kommt.

Nutzen: 

  1. Die unterschiedlichen Puppen und ihre Kleidung zeigen den Kindern, wie vielfältig das menschliche Aussehen ist und nimmt ihnen die Angst vor dem „fremden“ Aussehen. 
  2. Kinder mit Migrationshintergrund fühlen sich auch angesprochen und wahrgenommen, wenn sie mit Puppen spielen, die nichteuropäischer Abstammung sind. 
  3. Eltern werden in die Gestaltung des Gruppenraums eingebunden und leisten jeweils mit ihrem interkulturellen Wissen einen Beitrag. Sie fühlen sich nicht nur angenommen; es ist auch eine gute Gelegenheit für die Pädagogen, Elternarbeit zu betreiben und eine Bindung aufzubauen.  

Methoden der interkulturellen Pädagogik in der Schule 

Lehrerinnen und Lehrer haben im Rahmen der interkulturellen Pädagogik einen erweiterten Handlungsspielraum, sind aber auch öfter mit Kindern und Jugendlichen konfrontiert, die schon mit Vorurteilen behaftet sind. Es gilt, diese zu beseitigen und Kinder mit Migrationshintergrund so zu fördern, dass sie sich in der Klassengemeinschaft aufgenommen fühlen. Um den Stellenwert des Einzelnen zu stärken sowie Nähe und Verständigung zu schaffen, ist es immer hilfreich, wenn jedes Kind erzählt, woher es kommt. 

Weitere Methoden der interkulturellen Pädagogik können sein: 

  • Ein Globus im Klassenzimmer, auf dem alle Herkunftsländer markiert sind. 
  • Durchführung einer kleinen Ausstellung im Klassenzimmer mit Eckdaten zum jeweiligen Land und Bildern aus der Heimat, die die Schülerinnen und Schüler mitbringen. 
  • Einbindung typischer Instrumente und Lieder, die nachgebaut oder nachgesungen werden. Dasselbe gilt für landestypische Tänze.
  • Gemeinsames Kochen landestypischer Speisen. Vorab können Lehrerinnen und Lehrer mit der Klasse ein ausländisches Geschäft besuchen. 
  • Kennenlernen unterschiedlicher Religionen, z. B. durch Besuche von Moscheen oder Synagogen.
  • Feiern internationaler und nationaler Feste im Klassenzimmer. 

Nutzen: 

Kinder und Jugendliche, die über ihr Herkunftsland, ihre Bräuche und Sprachen sprechen, machen die Erfahrung, dass sie etwas Besonderes können und dass andere von ihnen lernen möchten. Das stärkt das Selbstbewusstsein. Gleichzeitig lernen deutsche Kinder, wie viele unterschiedliche Kulturen es gibt und wie diese einen Menschen prägen. So entstehen gegenseitiges Verständnis und eine Kultur der Neugier für Anderes.  

Dabei sollten Lehrerinnen und Lehrer einen Ausgleich anstreben: Denn die ausländischen Kinder wollen nicht nur ihre eigene Identität vorstellen, sie wollen auch auf Augenhöhe von ihren Mitschülerinnen und Mitschülern erfahren, was die Bräuche des neuen Landes sind und wie das gesellschaftliche Leben dort funktioniert. 

Bedeutung der Muttersprache für das interkulturelle Lernen 

Im Glauben, ihren Kindern zu helfen, drängen manche Eltern mit Migrationshintergrund ihre Kinder, in der Öffentlichkeit nur die Sprache des aufnehmenden Landes zu sprechen. Das sollten Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer nicht tun. Auch wenn sie verunsichert sind, weil sie nichts verstehen, sollten sie Kindern und Jugendlichen nicht verbieten, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten. Denn gute Kenntnisse der Muttersprache erleichtern das Erlernen der deutschen Sprache. Und andersherum: Wem die Muttersprache „genommen“ wird, hat es sehr viel schwerer. 

Wird dem Kind oder Jugendlichen die Muttersprache gar untersagt, ist das ein nachhaltiger Einschnitt in seine Entwicklung. Denn die Muttersprache ist die Sprache der Gefühle, der zwischenmenschlichen Kommunikation und der Konfliktlösung. Sie ist außerdem die Sprache der Fantasie und der Träume. Deshalb empfinden Menschen Fremdsprachen als fremd; sie kommen uns nicht emotional nahe.  

Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrerinnen und Lehrer sollten deshalb ganz bewusst die positive Haltung vertreten, dass zweisprachig aufgewachsene Kinder und Jugendliche beide Sprachen brauchen, um sich im Allgemeinen, aber auch interkulturell entwickeln können. 

Traumatisierte Flüchtlingskinder und -jugendliche benötigen besondere Aufmerksamkeit 

Die Eltern von Flüchtlingskindern und -jugendlichen haben ihr Heimatland verlassen, weil sie dort verfolgt wurden und fliehen mussten. Nicht selten haben Jugendliche sogar ohne Eltern die Flucht gemeistert. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu Kindern mit (und ohne) Migrationshintergrund, die eine solche Verfolgung und vor allem Flucht nicht erlebt haben.  

Geflüchtete Kinder und Jugendliche haben in einem Alter, in dem sie ihre Lebenswelt erst erkunden und stabile Bezugspersonen sowie ein stetes Umsorgen brauchen, die einschneidende Erfahrung der Flucht gemacht. Die Mehrzahl von ihnen ist traumatisiert. Diesen Umstand müssen Pädagogen wahrnehmen und berücksichtigen. 

Ein Trauma zu erkennen ist bei Kindern deutlich schwieriger, denn die Symptome sind vielfältiger und weniger eindeutig als bei Erwachsenen. Hellhörig sollten Pädagogen werden, wenn sie mehrere der folgenden Symptome erkennen, die nicht auf eine andere Ursache zurückzuführen sind: 

  • Bei Kleinkindern liegen häufig eine Störung des Affekts sowie eine Dysregulation des Essens, Schlafens oder des Sozialverhaltens vor. 
  • Kinder und Jugendliche 
    • legen ein agitiertes Verhalten an den Tag, das auch bei ADHS bekannt ist;
    • ziehen sich sozial zurück;
    • haben Ängste und Depressionen;
    • erschrecken sich häufig übertrieben;
    • sind übermäßig wachsam;
    • haben ein erhöhtes Kontrollbedürfnis;
    • misstrauen anderen Menschen;
    • entwickeln schnell das Gefühl des Ausgeliefertseins;
    • verarbeiten das Erlebte beim posttraumatischen Spiel; 
    • leiden unter Konzentrationsschwierigkeiten;
    • verlieren im schlimmsten Fall bereits erworbene Fähigkeiten (wie Sprache); 
    • sind oft kaum in der Lage, ihre Emotionen zu regulieren, und 
    • haben nicht selten vielfältige Schuld- und Schamgefühle. 

Es ist im Rahmen der interkulturellen Pädagogik also auch notwendig, dass Pädagogen für die Belange von Flüchtlingskindern und -jugendlichen sensibilisiert sind, um daraus adäquate pädagogische Umgangsweisen zu erarbeiten. Näheres zum korrekten Umgang mit traumatisierten Kindern liefert der Beitrag „Was ist Traumapädagogik? – Methoden und Definition“.

Quellen: „Flüchtlingskinder- und jugendliche in der Schule“, Leisau, A. 2006 „Kindergärten für Weltkinder: Zur interkulturellen Pädagogik im Elementarbereich“

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