Gewalt gegen Kinder: Aktuelle Statistik, Beispiele und Folgen

20.12.2023 | T. Reddel – Online-Redaktion, Forum Verlag Herkert GmbH

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Laut der polizeilichen Kriminalstatistik von 2022 erleben jeden Tag 48 Kinder in Deutschland sexuelle Gewalt. Gleichzeitig steigt die Fallzahl kinderpornografischer Inhalte. Doch wo fängt Gewalt gegen Kinder an, wie lässt sie sich erkennen und wie sollten Pädagoginnen sowie Pädagogen im Verdachtsfall reagieren?

Inhaltsverzeichnis

  1. Was fällt unter Gewalt gegen Kinder?
  2. Wie oft kommt es in Deutschland zu Gewalt gegen Kinder? – Statistik
  3. Ist Gewalt gegen Kinder strafbar?
  4. Wie kann ich Gewalt gegen Kinder erkennen?
  5. Gewalt gegen Kinder: Was tun?
  6. Folgen von Gewalt gegen Kinder

Was fällt unter Gewalt gegen Kinder?

Unter Gewalt gegen Kinder fallen alle Handlungen und Unterlassungen, die einem Kind physisch oder psychisch schaden, wie z. B. körperliche Züchtigung, Vernachlässigung oder Erniedrigung. Gewalt gegen Kinder geht oftmals von Erwachsenen aus, etwa von pädagogischen Fachkräften, den Eltern bzw. Sorgeberechtigten oder von einer dem Kind unbekannten Person. Aber auch die Gewalt unter Kindern spielt eine wesentliche Rolle beim Kinderschutz, wie etwa die (sexualisierte) Peergewalt.

Welche Formen von Gewalt gegen Kinder gibt es?

Zu den häufigsten Formen von Gewalt gegen Kinder gehören psychische, körperliche und sexuelle Gewalt sowie Vernachlässigung. Die Unterschiede der einzelnen Gewaltformen erläutert die folgende Übersicht:

Art der Gewalt gegen Kinder Definition Beispiele
Misshandlung Allgemeiner Begriff für die gewaltsame Schädigung von Kindern durch Eltern oder andere Personen. Kindesmisshandlung zeichnet sich meist durch physische Gewalteinwirkung oder Vernachlässigung aus und erfolgt entweder als bewusst gewählte Erziehungsmethode oder aufgrund eines emotionalen Kontrollverlusts (z. B. Wutausbruch).
  • Prügel
  • Festhalten
  • einzelne Schläge mit der Hand
Psychische/emotionale Gewalt

Äußerungen und Handlungen, die ein Kind herabsetzen,
entwürdigen, ihm das Gefühl von Ablehnung oder eigener Wertlosigkeit vermitteln. Emotionale Gewalt gegen Kinder kann aktiv (z. B. Kritik) oder passiv (z. B. Überbehütung) erfolgen.

  • Einschüchterung
  • Erniedrigung
  • Verbote (z. B. Kontaktverbot)
  • Einsperren
Sexuelle Gewalt

Sexuelle Handlungen von Erwachsenen oder Jugendlichen, die entweder an einem Kind oder in dessen Anwesenheit vorgenommen werden (überwiegend mit Machtmissbrauch). Sexualisierte Gewalt gegen Kinder ergibt sich häufig aus anderen Formen der Gewalt wie psychische oder körperliche Gewalt.

  • Körperliche Belästigung
  • Kind dazu veranlassen, eine Person sexuell zu berühren.
  • Gespräche über Sexualität führen, die das Kind überfordern.
Häusliche Gewalt

Gewalttaten zwischen Erwachsenen, die in partnerschaftlicher oder verwandtschaftlicher Beziehung stehen. Häusliche Gewalt im Haushalt eines Kindes gilt immer als Kindeswohlgefährdung, egal ob physisch oder psychisch.

  • Schläge
  • Tritte
  • Würgeversuche
  • Verbrennungen
Vernachlässigung

Wiederholte oder dauerhafte Unterlassung fürsorglichen Handelns vonseiten der Sorgeberechtigten. Dabei wollen oder schaffen es die Berechtigten nicht, die körperlichen, seelischen, geistigen und materiellen Grundbedürfnisse ihres Kindes zu befriedigen. 

  • Kind hungern oder dursten lassen.
  • Kind trägt häufig kaputte Kleidung. 
  • Kind erhält nicht die vorgeschriebenen Schutzimpfungen.

In der Praxis lassen sich die Formen der Gewalt gegen Kinder nicht immer klar voneinander trennen. So ist Misshandlung beispielsweise oft gekoppelt mit körperlicher Gewalt gegen das Kind.

Wie oft kommt es in Deutschland zu Gewalt gegen Kinder? – Statistik

Laut statistischem Bundesamt kam es 2022 zu 62.300 Fällen einer Kindeswohlgefährdung (4 % mehr als 2021). In weiteren 68.900 Fällen war nach Einschätzung der Behörden ein erzieherischer Hilfebedarf notwendig (+ 2 %). 

Die Polizeiliche Kriminalstatistik liefert ebenfalls Zahlen zur Gewalt gegen Kinder in Deutschland. So offenbart die Statistik für das Jahr 2022:

  • Die Zahl der kindlichen Opfer eines Tötungsdelikts sank 2022 auf 101 Todesfälle (- 31 % im Vergleich zu 2021).
    → Davon waren die meisten Kinder jünger als sechs Jahre alt.
  • Die Fallzahl von Kindern, die Opfer sexueller Gewalt wurden, lag 2022 bei 17.437 (leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr).
  •  2022 kam es zu ähnlich vielen Fällen von sexuellem Kindesmissbrauch (15.520) wie in 2021.

Ebenfalls aufschlussreich ist das Bundeslagebild „Sexualdelikte zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen“ des Bundeskriminalamts (BKA) vom Oktober 2023. Demnach gab es 2022 42.075 Fälle der Verbreitung, des Erwerbs und Besitzes kinder- und jugendpornografischer Inhalte. Das sind 7,5 % mehr als im Vorjahr. Dabei stieg die Anzahl jugendpornografischer Inhalte sogar auf 6.746 Fälle (+ 32,1 %).

Ist Gewalt gegen Kinder strafbar?

Ja, denn laut der UN-Kinderrechtskonvention und § 1631 Abs. 2 BGB hat jedes Kind hat ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Zudem ist es in Deutschland strengstens verboten, Kinder z. B. körperlich zu bestrafen. So droht bei Kindesmisshandlung eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zehn Jahren – abhängig von der Schwere der Gewalttat (§ 225 StGB). Entsprechend gilt bei Gewalt gegen Kinder bzw. Kindesmisshandlung eine Verjährungsfrist von zehn Jahren (§ 78 Abs. 2 StGB).

Darüber hinaus gibt es weitere Gesetze, die die Gewalt gegen Kinder in Deutschland reduzieren und den Kinderschutz erhöhen sollen.

Gewalt gegen Kinder: Gesetz

Seit dem 01.07.2021 gilt das Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Damit wurden u. a. folgende Maßnahmen festgelegt:

  • Genauere Definition der Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im deutschen Recht
  • Formulierung spezieller Qualifikationsanforderungen an Familien- und Jugendrichter
  • Mehr Ermittlungsbefugnisse für Strafverfolgungsbehörden hinsichtlich:
    • Sexualisierte Gewalt gegen Kinder
    • Verbreitung, Erwerb und Besitz dokumentierten Kindesmissbrauchs

Hinzu kommen Gesetze wie das Bundeskinderschutzgesetz oder Maßnahmen wie die Bundesstiftung Frühe Hilfen.

Wie kann ich Gewalt gegen Kinder erkennen?

Aufgrund der unterschiedlichen Formen von Gewalt gegen Kinder gibt es unterschiedliche Symptome, die auf eine Misshandlung o. Ä. hindeuten können. Pädagogische Einrichtungen wie Schulen und Kitas sind Einrichtungen, die neben Kinderärzten und Jugendämtern am häufigsten mit dem Thema Kinderschutz konfrontiert sind. Zu ihren Aufgabenbereichen gehört daher auch die genaue Beobachtung von Kindern und Jugendlichen, um mögliche Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung frühzeitig zu erkennen.  

Die folgende Übersicht zeigt beispielhaft einige häufige Anzeichen der verschiedenen Arten von Gewalt gegen Kinder:

Form der Gewalt gegen Kinder Mögliche Anzeichen
Häusliche Gewalt
  • Extreme Unruhe und Nervosität
  • Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)
  • Gestörte Impulskontrolle
  • Konzentrationsschwächen
  • Schlafstörungen
  • Selbstverletzendes Verhalten
Psychische/emotionale Gewalt
  • Einschüchterung des Kindes
  • Kind erhält weder Lob noch Bestätigung
  • Verbotener Kontakt zu anderen Personen
  • Ignorieren des Kindes und seiner Bedürfnisse
  • Kind wird verboten, über ein bestimmtes Ereignis zu sprechen
Sexuelle Gewalt
  • Verletzungen im Genital- und/oder Analbereich (z. B. unerklärliche Blutungen, Abschürfungen, Risse, Rötungen)
  • Einkoten und/oder Einnässen
  • Sozialer Rückzug
  • Regressive Entwicklung
  • Sprachstörungen (z. B. Mutismus)
  • Berührungsängste
Misshandlung/körperliche Gewalt
  • Mehrere Verletzungen in unterschiedlichen Altersstadien am Körper des Kindes (Hämatome, Striemen, Narben, Kratz- oder Bisswunden etc.)
  • Unfallschilderung der Eltern stimmt nicht mit den Verletzungen überein
  • Niedergeschlagene oder depressive Stimmung des Kindes
  • Übertrieben angepasstes Verhalten (stetige Wachsamkeit)
  • Einkoten und/oder Einnässen
Vernachlässigung
  • Kind wirkt ungepflegt (fettige Haare, Körpergeruch)
  • Unzureichende Mundhygiene (Löcher in den Zähnen, Karies etc.)
  • Kind trägt über längeren Zeitraum dieselbe Kleidung
  • Kind erhält von zu Hause kein Essen oder Essensgeld
  • Eltern zeigen kein Interesse an der Förderung und Entwicklung ihres Kindes

Einige dieser Anzeichen können auf unterschiedliche Formen der Gewalt gegen Kinder hindeuten und entweder einzeln oder in Kombination auftreten.

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Umfangreiche Checklisten, um mögliche Anzeichen von Gewalt gegen Kinder zu erkennen und fachgerecht einzuordnen, enthält die „Vorlagenmappe Kindeswohlgefährdung“.

Da es sich um sehr sensible Themen handelt, sollten pädagogische Fachkräfte keine voreiligen Schlüsse ziehen und bedacht vorgehen, wenn sie tatsächliche eine Gefährdung des Kindeswohls vermuten.

Gewalt gegen Kinder: Was tun?

Steht der Verdacht auf Gewalt gegen ein Kind im Raum, sollten Pädagoginnen und Pädagogen möglichst besonnen und professionell reagieren. Daher ist zuerst immer von einem Verdacht auszugehen, der sich entweder erhärten muss oder sich wieder entschärfen kann. Zudem schreibt jede Institution andere Vorgehensweisen bei möglicher Gewalt gegen Kinder vor.

Unabhängig von der Art der Einrichtung sollten pädagogische Fachkräfte bei einem Verdacht auf Misshandlung oder Vernachlässigung eines Kindes folgende Schritte befolgen:

Schritte Maßnahmen bei Gewalt gegen Kinder
1. Beobachten
  • Alle auffälligen Beobachtungen mit Datum und Ort dokumentieren (z. B. in Beobachtungsbögen).
  • Angemessenen Zeitraum für die Beobachtung festlegen.
    → Oftmals fallen Veränderungen am Kind erst mit der Zeit auf.
    → Nur bei Verdachtsmomenten, die die existenzielle Grundversorgung des Kindes bedrohen, sollte früher eingegriffen werden.
  • Immer eine zweite Fachkraft bei den Beobachtungen miteinbeziehen (Vier-Augen-Prinzip).
2. Informieren
  • Über aktuelle Lebensumstände des Kindes informieren.
    → Gab es kürzlich Veränderungen in der Familie, die die beobachteten Umstände erklären (z. B. Umzug, Scheidung der Eltern, Arbeitslosigkeit eines Elternteils, Todesfall in der Familie)?
  • Auch über die bisherige Lebensgeschichte der Familie informieren, da sie möglicherweise erst unter ungünstig zusammentreffenden Umständen für eine mögliche Gewalt an Kindern bedeutsam wird.
3. Gemeinsam handeln
  • Interner Austausch mit anderen pädagogischen Fachkräften über die dokumentierten Beobachtungen und Hintergrundinformationen zur Lebenssituation des Kindes, etwa im Rahmen einer kollegialen Fallberatung.
    → Alternativ: Austausch mit einer externen Fachstelle. Dabei die Situation anonymisiert darstellen und jegliche Daten nur weitergeben, wenn sie der Einschätzung der möglichen Gewaltsituation dient. Abgesehen von einer konkreten Kindeswohlgefährdung ist immer das Einverständnis der Sorgeberechtigten erforderlich, wenn eine Fachstelle mit einbezogen wird.
  • Elterngespräch mit den Sorgeberechtigten führen und vorab ausreichend vorbereiten (v. a. hinsichtlich der Struktur der Gesprächsziele und möglichen Erwartungen der Eltern).

Falls sich ein Kind von selbst einem Erwachsenen anvertraut, sollte neben den o. g. Schritten noch ein direktes Gespräch mit dem Kind bzw. dem/der Jugendlichen geführt werden. Dabei ist es wichtig, ruhig zu bleiben, keine Suggestivfragen zu stellen und dem Kind zu vermitteln, dass es richtig war, sich zu offenbaren.

Sonderfall: Sexuelle Gewalt gegen Kinder

Kommt es zu einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch, muss zwingend und unverzüglich eine Fachstelle hinzugezogen werden. Andernfalls ergibt sich ggf. eine Fehleinschätzung der Lage, wenn erst längere Beobachtungszeiten abgewartet werden – neben dem drohenden psychischen oder physischen Schaden des bzw. der betroffenen Heranwachsenden. Die konsultierte Fachstelle empfiehlt bei einem Verdacht geeignete Maßnahmen und vermittelt passende Hilfs- oder Beratungsangebote.

Wichtig: Die beteiligten pädagogischen Fachkräfte müssen alle Gespräche, Beobachtungen, Informationen und unternommenen Schritte dokumentieren. Am einfachsten funktioniert das mit fertigen Vorlagen und Mustern.

Folgen von Gewalt gegen Kinder

Je nach Form der Gewalt gegen Kinder können unterschiedliche negative Folgen für das Wohlergehen und die Entwicklung der Kinder drohen. Bleibt Gewalt gegen Kinder unerkannt oder wird nicht ausreichend gehandelt, drohen insbesondere folgende Auswirkungen:

  • Beeinträchtigung der körperlichen und seelischen Entwicklung
  • Störungen in der Autonomie-Entwicklung
  • Verhinderung eines altersangemessenen Sexualverhaltens und Störung der sexuellen Selbstbestimmung
  • Schlaf- und Angststörungen
  • Depressionen
  • Geringes Selbstwertgefühl
  • Selbstverletzendes Verhalten bis hin zu Suizidgedanken

Um solch negative Folgen möglichst gering zu halten, benötigen pädagogische Fachkräfte die nötigen Kenntnisse, wie sie Gewalt gegen Kinder erkennen und rechtssicher handeln.

Quellen: „Vorlagenmappe Kindeswohlgefährdung“, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)

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