Wie funktioniert ein BEM-Verfahren? – Ablauf und Rechtsgrundlage
11.11.2024 | T. Reddel – Online-Redaktion, FORUM VERLAG HERKERT GMBH
Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) unterstützt kranke und behinderte Angestellte bei der Rückkehr ins Arbeitsleben. Gemäß dem SGB IX sind Arbeitgeber verpflichtet, ihren Beschäftigten nach längerer Krankheit ein BEM-Verfahren anzubieten. Doch wie läuft der gesamte Prozess ab, wie lange sollte er dauern und was müssen Unternehmen bei einer Kündigung beachten?Inhaltsverzeichnis
- Was ist ein BEM-Verfahren?
- Gesetzliche Grundlage: SGB und DSGVO
- Ziele und Nutzen
- Wie läuft ein BEM-Verfahren ab?
- Wie lange dauert ein BEM-Prozess?
- BEM-Verfahren ablehnen
- Kündigung während oder nach BEM-Verfahren
- Rolle des Betriebsrats
Was ist ein BEM-Verfahren?
Das BEM-Verfahren dient der Wiedereingliederung von Angestellten, die langzeitig oder häufig kurzzeitig erkranken. Es ist gesetzlich vorgeschrieben und Teil des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM).
Dieses BGM umfasst folgende Bereiche:
- Arbeits- und Gesundheitsschutz
- BEM-Verfahren
- Medizinische Leistungen zur Prävention (arbeitsmedizinische Vorsorge)
- Betriebliche Gesundheitsförderung
Wesentlicher Bestandteil des BEM ist das dazugehörige Erstgespräch, auch „BEM-Gespräch“ genannt. Hier werden die Ursachen der Fehlzeit(-en) und mögliche Lösungsstrategien zur Wiedereingliederung besprochen. Das soll die jeweilige Arbeitsunfähigkeit möglichst überwinden und einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorbeugen, um den Arbeitsplatz zu erhalten.
Insgesamt dient das BEM-Verfahren dazu, die Beschäftigungsfähigkeit der Beschäftigten zu erhalten. Gleichzeitig schützt es alternde Belegschaften vor dem vorzeitigen Ausscheiden durch krankheits- oder behinderungsbedingte Fehlzeiten. Damit kann das BEM-Verfahren dem demografischen Wandel entgegenwirken.
Gesetzliche Grundlage: SGB und DSGVO
Der Arbeitgeber ist nach § 167 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch (SGB IX) verpflichtet, ein BEM durchzuführen. Es muss allen Beschäftigten angeboten werden, die innerhalb eines Jahres (nicht Kalenderjahres) länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Das sind mehr als 30 Fehltage oder 42 Kalendertage.
Tritt dieser Fall ein, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung (Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung, Integrationsamt etc.) die möglichen Maßnahmen und Schritte des BEM-Verfahrens. Die angestellte Person muss das BEM nicht annehmen – der Arbeitgeber ist jedoch verpflichtet, es anzubieten.
Neben dem SGB IX müssen Unternehmen bei der Durchführung des BEM-Verfahrens auch den Datenschutz beachten.
Datenschutz im BEM-Verfahren
Im BEM müssen alle Beteiligten die Informationen erhalten, die für die Durchführung des Verfahrens relevant sind. Die betroffenen Beschäftigten haben das Recht, dass ihre Gesundheitsdaten besonders geschützt aufbewahrt werden. Das erfolgt meist in Form einer „BEM-Akte“. Diese wird getrennt von der formellen Personalakte geführt. In der Personalakte dürfen nur Eckdaten zur Durchführung des BEM aufgenommen werden, etwa zum Angebot, Einverständnis und den Maßnahmen. Die Darstellung der Maßnahmen darf nicht die konkrete Erkrankung benennen.
Daher sollten Unternehmen nur die nötigsten personenbezogenen Daten ihrer Angestellten erheben. Sie dürfen diese Informationen nur verarbeiten und nutzen, um die Ziele des BEM-Verfahrens zu erfüllen. Entsprechende Regelungen enthalten die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) und das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).
Ziele und Nutzen des Verfahrens
Manche Unternehmen deuten das Wiedereingliederungsmanagement als zusätzliche bürokratische Hürde. Doch es bietet sowohl den Beschäftigten als auch den Unternehmen Vorteile.
So soll das BEM-Verfahren dabei helfen, folgende Ziele zu erreichen:
- Mögliche Ursachen für häufige Fehlzeiten aufdecken.
- Rehabilitationsbedarf frühzeitig erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten.
- Akute Arbeitsunfähigkeit überwinden und erneuter Arbeitsunfähigkeit vorbeugen.
- Ausfallzeiten im Betrieb (und damit verbundene Kosten) verringern.
- Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhafte fortsetzen.
- Krankheitsbedingte Kündigungen vermeiden oder vorbereiten.
Auf diese Weise soll das BEM die Angestellten möglichst lange gesund halten und ein wertschätzendes Arbeitsklima schaffen. Doch welcher Ablauf steckt hinter einem solchen Verfahren?
Wie läuft ein BEM-Verfahren ab?
Es gibt keinen gesetzlich festgelegten Prozess für ein BEM. Stattdessen bestimmen die Praxis und die Arbeitsgerichte die genaue Vorgehensweise.
Für ein erfolgreiches BEM empfiehlt sich folgender Ablauf:
Schritt 1: Einleitung des BEM-Verfahrens |
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Schritt 2: Finale Vorbereitungen |
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Schritt 3: BEM-Gespräch führen |
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Schritt 4: Durchführungsphase |
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Schritt 5: Nachbereitung des BEM-Verfahrens |
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Wie lange dauert ein BEM-Verfahren?
Die Dauer des BEM-Verfahrens hängt vom Einzelfall und den jeweiligen Maßnahmen ab. Sie kann wenige Wochen oder mehrere Monate betragen, in der Regel jedoch nicht länger als sechs Monate.
Der Abschluss eines BEM ist gesetzlich nicht eindeutig definiert. Laut Rechtsprechung ist dies der Fall, sobald sich Arbeitgeber und Beschäftigte einigen, dass der nötige Klärungsprozess beendet ist oder nicht weitergeführt werden soll.
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Wie Arbeitgeber sicherstellen, dass ihr geplantes BEM-Verfahren erfolgreich verläuft, erfahren sie im Online-Seminar „Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)“. Es bereitet Arbeitgeber und Personalverantwortliche optimal auf ihre Aufgaben im BEM-Prozess vor. Außerdem lernen die Teilnehmenden alle rechtlichen Vorgaben kennen, damit sie ihre geplanten Maßnahmen fehlerfrei umsetzen.
BEM-Verfahren ablehnen
Arbeitnehmende können dem BEM schriftlich zustimmen oder es ablehnen. Ein Widerruf ist jederzeit möglich. Darüber hinaus dürfen die Beschäftigten um ein vorgeschaltetes Informationsgespräch bitten, bevor sie eine Entscheidung treffen.
Lehnt die betroffene Person das Verfahren ab, muss der Arbeitgeber das BEM nicht mehr durchführen. Ein einfaches Ablehnen des Personalgespräches reicht nicht aus, genauso wie ein bloßes Schweigen vonseiten der Angestellten. Hat sich die Person hingegen nach Ablauf einer angemessenen Frist (zwei bis vier Wochen) nicht geäußert, kann das Unternehmen von einer Ablehnung ausgehen. Es wird empfohlen, eine konkrete Frist zu setzen. Spricht das Unternehmen dann eine krankheitsbedingte Kündigung aus, wird sie ohne Berücksichtigung eines milderen Mittels geprüft.
Kündigung während oder nach BEM
Sind Angestellte häufig oder über einen längeren Zeitraum krank, kann der Arbeitgeber nach ausreichender Prüfung eine personenbedingte Kündigung aussprechen. In solchen Fällen kann ein BEM-Verfahren den Kündigungsschutz der Betroffenen stärken. Zwar kann der Arbeitgeber auch ohne BEM eine wirksame Kündigung erteilen, muss im Falle einer Wiedereingliederung jedoch höhere Anforderungen im Kündigungsschutzverfahren beachten.
Das heißt für die Betroffenen:
- Der Arbeitgeber muss genauer erklären und beweisen, warum er kündigt.
- Dadurch haben die Beschäftigten bessere Chancen, erfolgreich gegen eine Kündigung zu klagen.
So ergeben sich im Rahmen des BEM-Verfahrens folgende Szenarien für den Kündigungsschutzprozess:
- BEM-Verfahren wurde mit positivem Ergebnis durchgeführt (geeignete Maßnahmen getroffen):
→ Im Regelfall wird keine Kündigung ausgesprochen. - Verfahren endet mit negativem Ergebnis (keine Maßnahmen denkbar) oder wird vonseiten der Beschäftigten abgelehnt:
→ Arbeitgeber muss unter Hinweis auf das BEM-Verfahren zeigen, dass es keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit gibt.
→ Ein abgelehntes BEM-Verfahren darf bei der Interessenabwägung keine Rolle spielen, kann jedoch trotzdem zu negativen Auswirkungen bei einer Kündigung führen. - Arbeitgeber hat kein BEM-Verfahren angeboten oder es wurde fehlerhaft durchgeführt:
→ Arbeitgeber ist vollständig darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass es keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit gibt.
Diese umfangreichere Darlegungs- und Beweispflicht erschwert es Arbeitgebern häufig, Angestellte im BEM wegen Krankheit zu kündigen. Daher kann das BEM-Verfahren – zumindest indirekt – zum Kündigungsschutz beitragen.
Rolle des Betriebsrats im BEM-Verfahren
Der Betriebsrat gilt als zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176 SGB IX, insbesondere für schwerbehinderte Angestellte. Er prüft, ob der Arbeitgeber seine Verpflichtungen im Rahmen des BEM-Verfahrens erfüllt.
Für diese Rolle übernimmt der Rat folgende Aufgaben:
- Überwachungsrecht: Betriebsrat überwacht die Einhaltung der BEM-Pflichten des Arbeitgebers und darf relevante Informationen beanspruchen.
- Mitbestimmungsrecht: Beteiligung bei der konkreten Ausgestaltung des Verfahrens im Unternehmen.
- Teilhabe am BEM-Verfahren: Beteiligung bei der Umsetzung des BEM (sofern von den betroffenen Angestellten gewünscht).
- Initiativrecht: Betriebsrat kann Vorschläge zur Ausgestaltung des BEM-Prozesses liefern.
- Abschluss von Vereinbarungen: Betriebsrat wirkt bei der Ausarbeitung von Inklusions- und Betriebsvereinbarungen zur Wiedereingliederung mit.
→ Um das BEM erfolgreich durchzuführen, kommt es auf die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Betriebsrat an.
Quelle: Online-Seminar „Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)“, „Themenbrief Arbeitsrecht“